Das Kuschelhormon zementiert nicht nur die Beziehung und nimmt Ängste, es stärkt auch unsere Empathie und macht es uns leichter, uns in andere Menschen einzufühlen. Das zeigt nicht nur, wie stark unser Sozialverhalten von Hormonen beeinflusst wird, es könnte auch neue Wege eröffnen, Menschen mit Autismus zu helfen.
Kuschelhormon macht einfühlsamer
Schon vor einigen Jahren zeigte eine Studie, dass Genvarianten für einen Rezeptor des Oxytocins unsere Empathie-Fähigkeit beeinflussen. In klassischen Einfühlungs-Tests schnitten diejenigen besser ab, die die G-Variante des Rezeptorgens in doppelter Ausführung trugen. Sie konnten beispielsweise auf Portraitbildern besser Gefühle vom Gesicht oder den Augen ablesen. Allerdings: Eine hundertprozentige Vorhersage erlaubt dieser Trend nicht, dafür bestimmen zu viele weitere Faktoren darüber mit, wie empathisch wir tatsächlich sind.
Anfang 2015 stellten US-Forscher fest, dass das Gehirn von Menschen mit einem höheren Oxytocin-Gehalt im Blut stärker auf soziale Signale reagiert. Die Hirnareale, die solche Reize verarbeiten und auswerten waren bei ihnen aktiver. „Bei Menschen mit einem niedrigeren Oxytocin-Wert waren diese Areale dagegen wenig beteiligt“, erklärt Katie Lancaster von der University of Virginia. „Ihre Aktivitätsmuster glichen eher denen, die beim Verarbeiten von nicht sozial relevanten Informationen auftreten.“
Oxytocin-Mangel als Ursache für Autismus?
Die Ergebnisse dieser und anderer Studien brachten Forscher darauf, die Rolle des Kuschelhormons für eine eng mit den sozialen Fähigkeiten verknüpfte Krankheit zu überprüfen: den Autismus. Menschen, die darunter leiden, sind meist unfähig, soziale Signale anderer zu interpretieren. Sie verstehen weder Ironie, noch können sie ihrem Gegenüber am Gesicht ablesen, ob er fröhlich oder traurig ist.
Ob dies etwas mit einem Mangel an Oxytocin zu tun haben könnte, haben Daniel Geschwind von der University of California in Los Angeles und seine Kollegen vor kurzem an Mäusen untersucht. Sie nutzten dafür einen Mäusestamm, der eine Autismus-ähnliche Störung zeigt. Und tatsächlich: Diese Mäuse hatten ungewöhnlich wenig Oxytocin im Gehirn und auch die Zahl der Oxytocin-Rezeptoren war bei ihnen anormal verringert. Verabreichten die Forscher diesen Tieren jedoch kurz nach der Geburt eine zusätzliche Dosis des Kuschelhormons, normalisierte sich das zuvor unsoziale Verhalten der Mäuse.
Hoffnung, aber kein Allheilmittel
„Das zeigt, dass ein Defizit an Oxytocin die sozialen Probleme dieser Mäuse verursacht – und dass eine Korrektur dieses Mangels auch ihr Verhalten normalisiert“, so Gschwind. Seiner Ansicht nach könnte es auch beim Menschen zumindest einige Formen des Autismus geben, die mit einem solchen Mangel des Kuschelhormons einhergehen. Erste klinische Studien zur Wirkung des Oxytocins bei Autismus sind bereits in Vorbereitung.
Ein Allheilmittel für alle Formen des Autismus ist das Kuschelhormon aber mit Sicherheit nicht. Denn unter diesem Sammelbegriff stehen ganze Reihe von ähnlichen, aber nicht zwangsläufig auf gleichen Ursachen beruhenden Entwicklungsstörungen. Die Kunst wird es daher sei, die Betroffenen zu finden, bei denen eine Oxytocin-Therapie helfen könnte. Daher warnen die Forscher auch nachdrücklich davor, autistische Kinder quasi prophylaktisch schon mal mit einem Oxytocin-Nasenspray zu behandeln – zu wenig ist bisher über mögliche Schattenseiten des Kuschelhormons bekannt.
Nadja Podbregar
Stand: 17.07.2015