Es donnert, blitzt und stürmt: Gewitter sind schon per se ein dramatisches Naturschauspiel. Doch hoch oben in den Gewitterwolken spielen sich für uns unsichtbar auch Prozesse ab, bei denen größere Mengen Antimaterie entstehen. Die Herkunft einiger dieser Positronen ist allerdings bis heute rätselhaft.
Gammablitze und Positronen
Die Geschichte beginnt 2008 mit dem Start des Gammastrahlen-Teleskops Fermi in die Erdumlaufbahn. Das fliegende Observatorium soll eigentlich die energiereichen Strahlenblitze einfangen, die bei bestimmten Explosionen im Weltall entstehen. Doch als NASA-Forscher die ersten Daten auswerten, entdecken sie Überraschendes: 130 der von Fermi registrierten Gammablitze stammen nicht aus dem All, sondern von der Erde. Die Blitze gehen offensichtlich von der Oberseite starker Gewitterstürme aus.
Heute weiß man, diese Gammastrahlen entstehen, wenn stark beschleunigte Elektronen in den Wolken mit Luftteilchen kollidieren. Doch das ist noch nicht alles: Wenn die energiereichen Gammablitze ihrerseits auf Atomkerne treffen, kann dabei ein Teilchen-Antiteilchen-Paar entstehen: ein Elektron und ein Positron. Wie das Fermi-Teleskop nachwies, können bei einem schweren Gewitter ganze Ströme dieser Antiteilchen von der Wolke aus aufwärts rasen, bis sie von den Magnetfeldlinien eingefangen werden und diesen folgen.
„Diese Signale sind der erste direkte Beweis dafür, dass Gewitter Antimaterie-Ströme erzeugen“, erklärt Michael Briggs von der University von Alabama. Er und seine Kollegen schätzen, Gewitter täglich bis zu 500 terrestrische Gammablitze erzeugen – und möglicherweise produzieren sie alle solche Teilchenströme.
Flug durch eine Positronen-Wolke
Wie viel Positronen in der Erdatmosphäre verborgen sein können, erlebte der Forscher Joseph Dwyer vor einigen Jahren am eigenen Leib. Im Sommer 2009 war er mit Kollegen in einem Messflugzeug unterwegs, um die Gammablitze von Gewittern zu messen. Auf einem Flug gerieten die Forscher irrtümlich etwas zu tief in den oberen Bereich einer großen Gewitterwolke hinein und wurden von heftigen Turbulenzen durchgeschüttelt.
Als sie schließlich nach einigen Minuten wieder ruhigere Luftbereiche erreichten, stellte Dwyer Seltsames fest: Der Gammastrahlensensor des Flugzeugs hatte während ihrer Passage durch die Wolke dreimal hintereinander starke Strahlenpeaks im Bereich von 511 Kiloelektronenvolt registriert. Doch dieser Wert passte nicht zu den normalen Gammablitzen der Gewitter. Stattdessen entsprach dieses Signal genau dem Wert, den man von Positronen erwarten würde.
„Wenn Positronen ausgelöscht werden, geben sie zwei Photonen ab, jedes mit der Energie von 511 Kiloelektronenvolt“, erklärt Dwyer. Rechnete man die registrieren Gammastrahlenwerte in Positronen um, dann musste das Flugzeug mitten durch eine mindestens ein bis zwei Kilometer große Wolke aus diesen Antiteilchen geflogen sein. „Die Emission stammte aus einem großen Bereich rund um das Flugzeug herum“, sagt Dwyer.
Herkunft rätselhaft
Aber wo kamen diese Unmengen an Positronen plötzlich her? Während der turbulenten Passage durch die Gewitterwolke registrierte das Messinstrument nur einen herkömmlichen Gammablitz. Doch dieser allein – und auch die bekannte Rate der Antimaterieproduktion in Gewittern reicht bei weitem nicht aus, um eine solche Wolke an Positronen zu erklären. Das Ganze war so rätselhaft, dass Dwyer immerhin fast sechs Jahre zögerte, bevor er seine Beobachtungen und Analysen veröffentlichte.
Woher diese Antimaterie-Wolke kommt, und ob es sie auch in anderen Gewittern gibt, ist bis heute ungeklärt. Dwyer vermutet, dass vielleicht kosmische Strahlen eine Rolle spielen könnten oder auch elektrische Felder, die im Gewitter am Flugzeug selbst entstanden sind. Er und seine Kollegen haben inzwischen damit begonnen, Messballons mit Gammastrahlensensoren inmitten von Gewitterstürmen steigen zu lassen – in der Hoffnung, mehr über diese rätselhafte Positronen-Wolke zu erfahren.
Nadja Podbregar
Stand: 06.11.2015