Betonwüste Stadt – ohne Zweifel ist sie ein Höhepunkt der „Un-Natürlichkeit“. Kaum ein Fleckchen Boden bleibt frei, es findet sich kaum Grün und Straßenlaternen, und Neonreklamen machen auch die Nächte taghell. Kaum vorstellbar, daß sich hier noch Pflanzen und Tiere aufhalten und sogar vermehren können. Aber dennoch tun sie es.
Und es sind keineswegs nur die allgegenwärtigen Tauben und Spatzen, die hier in der scheinbar so feindlichen Umgebung überleben, sondern auch eine Reihe von seltenen Tier- und Pflanzenarten fand hier eine Art Refugium. So wurden in München zum Beispiel so seltene Vogelarten wie Halsbandschnäpper, Baumfalke und Braunkehlchen heimisch, viele wärmeliebende Pflanzenarten sind zum Überleben auf die Wärmeinsel Stadt angewiesen.
In den achtziger Jahren ergab eine Zählung der Brutvogelarten im Münchener Stadtgebiet, daß über 100 verschiedenen Vogelarten ihr Quartier hier dauerhaft bezogen hatten. Für ein Gebiet von rund 300 Quadratkilometern Größe liegt diese Zahl sogar etwas über dem Landesdurchschnitt. Selbst im Stadtkern brüteten immerhin noch sechs bis acht verschiedenen Arten, nicht weniger als in einem intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebiet vergleichbarer Größe. Insgesamt fanden die Zähler 265 Vogelarten und Zählungen in anderen Großstädten zeigten ähnliche Ergebnisse. Von Artenarmut in der Stadt kann, zumindest was die Vogelpopulation betrifft, offensichtlich keine Rede sein.
Auch für die Insekten gehört die Stadt zu einem der artenreicheren Lebensräume: In Leipzig hat man allein unter den Laufkäfern 175 verschiedene Arten gezählt und bei einer Schmetterlingszählung im Innenhof des Münchener Schlosses Nymphenburg wurden 320 verschiedenen Schmetterlingsarten nachgewiesen.
Aber wie steht es um die Pflanzenvielfalt in der Stadt? Pflanzen sind schon allein wegen ihrer Unbeweglichkeit in der Stadt erheblich mehr gefährdet als Tiere. Sie können weder den Baggern noch dem Verkehr ausweichen und sind Schadstoffen aus Luft, Wasser und Boden ungeschützt ausgesetzt. Dennoch liegt ihre Artenzahl sogar über der des agrarisch geprägten Umlandes. Nicht berücksichtigt sind bei dieser Zählung allerdings Biomasse und die Anzahl der vertretenen Ordnungen und Familien. Häufig gehören die Stadtpflanzen zu nur wenigen Familien und ihre Biomasse ist natürlich insgesamt gesehen erheblich geringer als in den umliegenden Landschaften.
Dennoch zeigen diese Zahlen, daß das Klischee von der lebensfeindlichen Stadt nur bedingt der Realität entspricht. Die sich schnell verändernden Strukturen und Umweltbedingungen und die Menge der sehr unterschiedlichen Lebensräume auf engstem Raum stellen an die Stadtpflanzen- und Tiere extrem hohe Anforderungen. Den Arten, die sich an diese Bedingungen angepaßt haben, ist es aber zum Teil gelungen, die vermeintlichen Nachteile des Biotops Stadt zu ihrem Vorteil zu nutzen.
Stand: 06.10.2001