Trotz Satelliten und wissenschaftlichen Hightech-Instrumenten ist gerade die zentrale Arktis noch ein weißer Fleck auf der Forschungslandkarte. Selbst die Antarktis ist dank zahlreicher Polarstationen besser erkundet als die eisige Welt des Nordpolarmeeres. Das hat nicht nur Konsequenzen für unser Wissen über Ozean, Lebenswelt und Atmosphäre vor Ort – es beeinträchtigt auch globale Modelle beispielsweise des Klimas.
Schlüsselregion des Klimas
„Die Arktis ist das Schlüsselgebiet für den globalen Klimawandel. Hier befindet sich quasi das Epizentrum der globalen Erwärmung“, erläutert MOSAiC-Expeditionsleiter Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut. Gleichzeitig ist die Arktis eng mit dem Wettergeschehen in unseren Breiten verknüpft. Weil aber entscheidendes Wissen über die Vorgänge in dieser Region fehlen, sind auch die Klimamodelle dort eher ungenau. So variieren beispielsweise Prognosen für die arktischen Temperaturen bis 2100 zwischen einer Erwärmung um fünf oder um 15 Grad.
Eine der wichtigsten Aufgaben der MOSAiC-Expedition ist es daher, die enormen Wissens- und Datenlücken zu schließen. Die Meteorologen und Klimaforscher werden dafür eine eigene Station auf der driftenden Eisscholle errichten – Met City. Dort überwachen sie mithilfe verschiedener Instrumente, Sensormasten und sogar einem eigenen Hangar für Messballons den Zustand der arktischen Atmosphäre. Mit ihren Messungen sammeln sie Daten von der Eisoberfläche bis in die oberen Bereiche der Stratosphäre.
Meereis als Bindeglied
Ein zweiter Fokus der Expedition liegt auf dem Meereis – dem Untergrund, auf dem die gesamte Driftstation steht. „Das Meereis ist der große Integrator – hier laufen alle Faktoren zusammen“, erklärt Expeditionsmitglied Matthew Shupe von der University of Colorado. Denn die Eisdecke auf dem Nordpolarmeer beeinflusst entscheidend den Energie- und Wärmefluss zwischen Ozean, Eis und Atmosphäre. So kann schon die Menge von Rissen im Meereis bestimmen, wie stark sich die Atmosphäre über dem Eis aufheizt. Umgekehrt beeinflussen Meeresströmungen, Temperaturen und Wind das Verhalten der Eisfläche.
Während der MOSAiC-Expedition haben Forscher nun erstmals die Chance, all diese Austauschprozesse und Rückkopplungen kontinuierlich durch alle Jahreszeiten hinweg zu beobachten. Dafür werden sie ein eigenes Camp einige Kilometer von der Polarstern entfernt installieren. Dort sind sowohl regelmäßige chemische und physikalische Analysen geplant als auch Bohrungen ins Eis.
Heizkissen Ozean
Der dritte große Akteur in der Arktis ist das Nordpolarmeer – der Ozean, über den sich die Drift-Expedition hinwegbewegen wird. Diese Wasserunterlage wirkt wie eine gigantische Fußbodenheizung für die zentrale Arktis. Denn selbst wenn die Luft bis auf minus 45 Grad abkühlt, bleibt das Wasser des Nordmeeres bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Gleichzeitig treiben die Strömungen des Polarmeeres die Bewegungen der Eismassen an und transportieren so Nährstoffe und Wärme quer durch die Nordpolarregion.
Das Nordpolarmeer ist aber auch ein Lebensraum für viele Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen. Vor allem die Unterseite des Meereises ist die Heimat vieler Mikroalgen und anderer Planktonorganismen, die die Basis der polaren Nahrungsketten bilden. Wie diese Meeresbewohner trotz Dunkelheit und Kälte im Polarwinter überleben und was ihre Häufigkeit und Verteilung prägt, ist bislang aber noch kaum untersucht.
Um all diese Einflüsse und Wechselwirkungen des Polarmeeres erforschen zu können, werden die mit dem Ozean befassten Wissenschaftler ebenfalls ein eigenes Camp auf der MOSAiC-Eisscholle bekommen: Ocean City. In einem zentralen Zelt wird ein großes Loch im Eis den Zugang zum Nordpolarmeer eröffnen. Messinstrumente, aber auch Tauchroboter können so die Unterseite des Eises und das Meer bis in große Tiefen erkunden.
Drohnen, Helikopter und eine zentrale Datenbank
Zusätzlich zu diesen im 700 Meter Umkreis um die Polarstern verteilten „Städten“ auf der Drift-Eisscholle werden zahlreiche ferngesteuerte Erkundungsroboter und Drohnen die Forscher bei ihrer Arbeit unterstützen. Schon zu Beginn der Expedition werden Wissenschaftler zudem ein ausgedehntes, bis zu 50 Kilometer weit hinausreichendes Sensoren-Messnetz auf dem Meereis rund um die zentralen Stationen installieren. Mit den schiffseigenen Helikoptern können die Forscher auch während der Drift diese weiter weg liegenden Außenstationen erreichen. „Das sind logistische Operationen, die es in diesem Teil der Erde noch nie gegeben hat“, sagt Rex.
Die Daten, die all diese Messstationen und Forschungsarbeiten liefern, werden in einer zentralen Datenbank abgespeichert. Auf diese Weise haben alle Wissenschaftler jederzeit Zugriff auch auf die Messwerte und Erkenntnisse ihrer Kollegen in anderen Teams. Angesichts der komplexen Wechselbeziehungen von Eis, Ozean und Atmosphäre ist diese Form von Gruppen- und Fachgebiets-übergreifender Auswertung essenziell.
Eine Besonderheit auch: Ab 1. Januar 2023 werden alle Daten der MOSAiC-Expedition für die gesamten Welt öffentlich zugänglich gemacht. „Dies unterstreicht die enorme Bedeutung der Expedition für die globale Wissenschaftlergemeinschaft“, heißt es dazu auf der MOSAiC-Website.