Phänomene

Atomkern statt Hülle

Auf dem Weg zur Atomkernuhr

Bisher sind optische Atomuhren die genauesten Werkzeuge für unsere Zeitmessung. In ihnen geben die Quantensprünge von Elektronen in den Atomhüllen den Takt vor. Doch es ginge noch besser – mit einer Atomkern-Uhr. Denn auch die Protonen und Neutronen im Atomkern können verschiedene Energiezustände einnehmen – und diese sind robuster und „ticken“ schneller als bei gängigen Atomuhren.

Atomkern
Der Atomkern ist weniger statisch als es solche Abbildungen glauben machen. © Adisonpk/ iStock

„Quantensprünge“ auch im Atomkern

Entgegen landläufiger Vorstellung ist der Atomkern kein statisches Gebilde: Auch die Protonen und Neutronen im Atomkern bewegen sich je nach Energiegehalt in bestimmten Orbitalen umeinander. Ähnlich wie bei den Elektronen der Atomhülle lassen sich auch diese Kernbausteine durch Energiezufuhr auf andere Bahnen anheben. Der Atomkern wechselt dadurch in den angeregten Zustand. Dies beeinflusst das Verhalten der Atome und könnte daher ebenfalls als Taktgeber gemessen werden – theoretisch.

Der große Vorteil einer solchen Atomkern-Uhr: Die Zustandswechsel der Kernbausteine sind weniger anfällig für Störeinflüsse wie beispielsweise elektromagnetische Strahlung. Denn der Atomkern ist besser gegen solche Störeffekt abgeschirmt. Um einen „Quantensprung“ des Atomkerns auszulösen, benötigt man zudem millionenfach mehr Energie als bei Elektronensprüngen in der Atomhülle.

Bei den meisten Kernen lässt sich dies nur durch energiereiche, kurzwellige Röntgenstrahlung erreichen – die eine weit höhere zeitliche Auflösung ermöglicht als die Mikrowellen oder das Laserlicht elektronenbasierter Atomuhren. Atomkernuhren könnten daher die Dauer einer Sekunde bis auf die Zeptosekunde genau anzeigen – den Billionsten Teil einer Milliardstel Sekunde. In einer Zeptosekunde schafft es Licht nicht einmal, ein Prozent eines mittleren Atoms zu durchqueren. Das Problem jedoch: Die nötigen starken Röntgenblitze können gängige Messlaser nicht erzeugen.

Thorium-229
Das Isotop Thorium-229 könnte sich als Zeitmesser in einer Atomkernuhr eignen. Es hat 90 Protonen und 139 Neutronen im Atomkern. © SM358/ gemeinfrei

Der Kandidat Thorium-229

Wissenschaftler suchen daher nach Atomkernen, die weniger hochenergetische und besser messbare Zustandswechsel aufweisen. Beim radioaktiven Isotop Thorium-229 wurden sie vor einigen Jahren fündig: „Knapp über dem Grundzustand – dem Zustand mit der kleinstmöglichen Energie – gibt es erstaunlicherweise einen weiteren Kernzustand, den wir Isomer nennen“, erklärt Thorsten Schumm von der TU Wien. Dieses Isomer liegt nur rund 8,3 Elektronenvolt über dem Grundzustand und wäre daher mit Messlasern erzeugbar.

Doch um das Thorium-Isotop zur Zeitmessung einzusetzen, muss man das Energieniveau seines Isomers genau kennen. 2019 gelang es dem Team um Schumm sowie einem weiteren Physikerteam in Japan, diesen Wert erstmals einzugrenzen. Demnach wird der Übergang zwischen Grundzustand und Isomer durch UV-Strahlung von 149,7 Nanometer Wellenlänge ausgelöst. „Das ist ein extrem wichtiger Schritt für uns: Wir wissen nicht nur, dass es den angeregten Zustand knapp über dem Grundzustand tatsächlich gibt, wir kennen nun auch seine Energie recht genau“, sagt Schumm.

Wie misst man den nuklearen Zustandswechsel?

Für eine Kernuhr ist jedoch noch ein weiterer Faktor wichtig: Man muss den Zustandswechsel des Atomkerns kontrolliert und möglichst präzise messen können. Doch woher weiß man, wann der Atomkern vom Grundzustand zum Isomer und wieder zurück wechselt? Im Idealfall zeigt sich dies daran, dass der angeregte Kern einen Teil seiner Energie auf die Hülle überträgt. Diese gibt dann bei ihre Zustandswechsel je nach Größe des Quantensprungs ein Elektron oder ein Photon ab – und das lässt sich ähnlich wie bei Atomuhren messen.

Beim Thorium-229 setzt jedoch nur ein kleiner Teil der nuklearen Zustandswechsel ein Photon frei. 2023 gelang es Physikern um Sandro Kraemer von der Ludwig-Maximilians-Universität München aber, diese Photonenfreisetzung gezielt zu fördern und zu messen. Dafür betteten sie die Thorium-Kern in Fluorid-Kristalle ein, die die sonst dominanten, schwer messbaren Kern-Quantensprünge unterdrückten. Dadurch konnten die Physiker erstmals den Zustandswechsel beim Thorium-229-Kern anhand der UV-Spektroskopie beobachten.

Bis zu einer funktionierenden Thorium-Kernuhr sind aber noch einige Schritte nötig. So müssen auch die Messlaser für eine solche Atomkernuhr erst noch entwickelt werden. „Sie werden als Treiber für den periodischen Zustandsübergang gebraucht – erst sie bringen eine solche Uhr zum Ticken“, erklärt Piet Van Duppen von der Universität Leuven. Außerdem ist Thorium-229 radioaktiv und hat eine Halbwertszeit von nur rund 16 Minuten. Deshalb müssen diese Atomkerne ständig neu aus anderen Isotopen erzeugt werden – ein hoher Aufwand.

Scandium-45
Das Isotop Scandium-45 könnte ebenfalls die Basis für eine Atomkernuhr bilden. © European XFEL/ Helmholtz-Institut Jena, Tobias Wüstefeld, Ralf Röhlsberger

Oder doch lieber Scandium-45?

Unter anderem deshalb erforschen Physiker auch andere Elemente als Kernruhr-Kandidaten – einer davon ist das Seltenerdmetall-Isotop Scandium-45. „Das wissenschaftliche Potenzial der Scandium-Resonanz wurde bereits vor mehr als 30 Jahren erkannt“, sagt Yuri Shvyd’ko vom Argonne National Laboratory in den USA. Denn dieses Isotop ist nicht radioaktiv und relativ reichlich verfügbar. Der Zustandswechsel des Scandium-Kerns erfolgt zudem in einem sehr schmalen Energiebereich. Die Linienbreite der Anregungsfrequenz liegt bei nur 1,4 Billiardstel Elektronenvolt.

Dadurch könnte man mit Scandium-45 eine Atomuhr konstruieren, die in 300 Milliarden Jahren maximal eine Sekunde vor oder nachgehen würde. Der Haken jedoch: Um den Quantensprung im Scandium-Kern auszulösen, benötigt man intensive und gleichzeitig sehr fein einstellbare Röntgenstrahlung. Denn der Übergang erfolgt bei einer Energie von 12,38 Kiloelektronenvolt. Realisiert werden könnte eine solche Scandium-Atomkernuhr daher nur durch Kombination leistungsstärker Röntgenlaser mit Frequenzkämmen.

Erste Prototypen schon in wenigen Jahren

Trotz dieser noch zu bewältigenden Hürden sind Physiker zuversichtlich, dass es schon in wenigen Jahren erste Atomkernuhren geben wird. „Vielleicht schaffen wir es noch bis 2030, rechtzeitig zur Neudefinition der Zeit“, hoffen Kraemer und sein Team. Denn dann soll die SI-Einheit für die Zeit neu definiert werden. Statt angeregter Cäsiumatome der gängigen Atomuhren könnten dann optische Atomuhren oder vielleicht sogar Atomkernuhren als physikalische Grundlage dienen.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Atomuhren
Wie kleinste Teilchen unsere Zeit definieren

Wie wird die Zeit gemessen?
Von der Tageslänge zur Atomuhr

Licht statt Mikrowellen
Warum optische Atomuhren genauer und präziser sind

Wozu Atomuhren?
Wofür man hochgenaue Zeitangaben und Taktgeber benötigt

Atomkern statt Hülle
Auf dem Weg zur Atomkernuhr

Wie kommt die Zeit zu uns?
Wie aus Atomuhrdaten die koordinierte Weltzeit wird

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