Wohlwollend blickte August der Starke, Kurfürst von Sachsen, auf das kostbare Porzellangeschirr, das extra aus China importiert worden war. Sanft strich er mit dem Finger über die zierliche Form des weissen Materials, das in keinem Schloss oder Fürstenhaus fehlen durfte. Das schöne Geschirr aus dem fernen Osten schien dem europäischen Adel damals (1701) standesgemäß, Porzellan ein begehrtes Prestigeobjekt. Allerdings waren die Chinesen die einzigen, die das Geheimnis der Porzellanherstellung beherrschten, so dass man es zu horrenden Preisen abkaufen und transportieren musste. Auch August der Starke hatte seine Staatskassen schon überstrapaziert. So kam ihm die Kunde, Johann Friedrich Böttger, einer seiner Untertanen, könne Gold aus Blei herstellen, gerade recht.
Die Idee, aus Blei und anderen unedlen Metallen Gold zu machen, scheint in unserer heutigen Zeit lächerlich und absurd. Damals aber beschäftigten sich zahlreiche Alchemisten mit der Suche nach dem sogenannten Stein der Weisen, der seinem Finder neben Reichtum auch zu Gesundheit und einem langen Leben verhelfen sollte. Bevor man nun überlegen lächelnd den Kopf schüttelt, sollte man berücksichtigen, dass das chemische Wissen damals noch lange nicht so weit fortgeschritten war wie heute. Aus gewissen Beobachtungen von natürlichen Vorgängen leitete man sich seine Kenntnisse ab. So entstand beispielsweise beim Austreiben des Schwefels aus Bleiglanz Blei. Zudem ließen sich aus den Erzen kleine Mengen an Gold gewinnen. Was lag also näher, als zu vermuten, dass der Schwefel ein Bestandteil aller Metalle sei und dass man diese durch Veränderung des Schwefelgehaltes ineinander umwandeln könne.
Natürlich waren zahlreiche Alchimisten Betrüger, die mit Taschenspielertricks arbeiteten und Gold aus ihren Ärmeln „zauberten“. Oft endeten sie am Galgen. Unter den Goldsuchern befand sich aber stets ein Kern echter Naturforscher, die der Chemie auf der Suche nach Gold einige wichtige Erkenntnisse brachten. Mehr durch Zufall entdeckten sie bei ihren Experimenten mittlerweile gebräuchliche Verfahren, die aus der heutigen Chemie nicht mehr wegzudenken sind, etwa Destillieren, Legieren, Filtrieren, Niederschlagen, Schmelzen und Lösen. Auch die Herstellung verschiedener Stoffe geschah zufällig bei der Arbeit der Goldmacher. Auf diese Weise fanden sie zum Beispiel Phosphor, Ammoniak, Alkalien, Aether, Weingeist, zahlreiche Metallverbindungen oder Salz-, Salpeter- und Schwefelsäure.
Ohne die Arbeit der Alchimisten wäre demnach die moderne Chemie längst nicht auf ihrem heutigen Stand. Gold stellte allerdings keiner von ihnen her. Auch Johann Friedrich Böttger nicht.
Obwohl es nur ein Gerücht war, dass Böttger Gold herstellen könne, scheute der Kurfürst keine Mühen, diesen anscheinend so begabten Goldmacher in seinen Dienst zu stellen. Genauer gesagt spürte er ihn unter enormem Aufwand auf und ließ ihn unter größten Vorsichtsmaßnahmen mit einer Kavallerie-Eskorte nach Dresden bringen. Denn Böttger, der genau wußte, dass er kein Gold herstellen konnte, war zuvor nach Wittenberg geflohen. Der Alchimist wurde nun gefangen gehalten mit der nicht sehr ermutigenden Aussicht, entweder Gold zu produzieren oder am Galgen zu enden.
Zusammen mit dem Naturwissenschaftler Ehrenfried Walther von Tschirnhaus widmete sich Böttger wohl oder übel dem Problem der Goldherstellung. Dabei fanden sie durch Zufall etwas ganz anderes. Als sie 1708 Tonerde ohne Eisenanteil, das weiße Kaolin mit Quarz und Feldspat – die beide in Granit enthalten sind – fein zermahlen und mit etwas Wasser gemischt, dann getrocknet und gebrannt hatten, entstand das erste europäische Porzellan.
Der Kurfürst erkannte schnell, dass dieses „weisse Gold“ fast den selben Wert hatte, wie echtes Gold. Das Monopol Chinas war nun endlich gebrochen, die europäischen Könige und Fürsten konnten ihr Geld auch in Deutschland für Porzellan ausgeben – eine wahre Porzellanmanie entwickelte sich. August der Starke wußte diese Einnahmequelle sehr zu schätzen. Sicherheitshalber verlegte er die Porzellanmanufaktur in die Albrechtsburg nach Meißen, um den Porzellanmeister und seine Arbeiter unter gefängnisähnlicher Kontrolle halten zu können. Böttger selber hatte nicht viel von der Entdeckung. Er starb 1719 in Armut.
Stand: 30.05.2000