Nachdem das HI-Virus an der Innenseite der Zellmembran zusammengebaut wurde, kann es losgehen: Die Viren sind reif für das Verlassen der Zelle. Dafür organisiert das Virenprotein Gag nun eine zelluläre Maschinerie, die Membranen abtrennen kann. Sie schnürt die Virushülle von der Zellmembran ab – und HIV ist frei, eine neue Wirtszelle zu infizieren.
Doch spätestens jetzt wird der Erreger mit dem „Assembly-Disassembly-Paradox“ konfrontiert: Die für die raue Umgebung außerhalb der Zelle konstruierte Gag-Hülle ist stabil und damit ungeeignet für drinnen – in einer neuen Zielzelle kann sie nicht richtig zerfallen. Mit anderen Worten: Die neu gebildeten Viren sind nicht infektiös.
Umbau schafft neue Hülle
Das Lösungskonzept von HIV für dieses Problem heißt Virusreifung: Die nicht-infektiösen „unreifen“ Partikel verwandeln sich in eine infektiöse „reife“ Form. Dies gelingt mit der viralen Protease, einem Eiweiß spaltenden Enzym, das mit in die HIV-Partikel verpackt wird. Das Enzym spaltet das Gag-Protein gezielt in mehrere Untereinheiten, die sich dann im Inneren des Partikels zu vollkommen neuen Strukturen organisieren: Es entsteht eine völlig neue Hülle.
Ein Teil der neuen Untereinheiten kleidet dabei die Virusinnenseite aus, ein Teil schnürt das fadenförmige Erbgut der Viren zu einem kompakten Paket, und ein weiterer Teil umhüllt dieses Paket in Form eines charakteristischen kegelförmigen Kapsids, an dem man HI-Viren in elektronenmikroskopischen Aufnahmen leicht erkennen kann.
Vom Freisetzungs- in den Infektionsmodus
Im Gegensatz zu der ursprünglich gebildeten Gag-Hülle ist das kegelförmige Kapsid instabil. Deshalb kann es die genetische Information im Inneren der nächsten Wirtszelle auspacken: HIV hat vom „Freisetzungsmodus“ in den „Infektionsmodus“ umgeschaltet. Illustrationen des HIV-Lebenszyklus
stellen die Virusreifung als den letzten Schritt nach draußen dar; man kann sie aber auch als ersten Schritt nach drinnen betrachten – sie bereitet das Virus auf den Zelleintritt vor.
In jedem Fall ist die Virusreifung unverzichtbar für den HIV-Replikationszyklus. Medikamente, die die virale Protease hemmen und damit die Reifung verhindern, blockieren die Virusvermehrung. Solche Medikamente sind ein wesentlicher Bestandteil der Therapie von HIV-Infektionen.
Barbara Müller, Universitätsklinikum Heidelberg / Ruperto Carola
Stand: 09.01.2015