Wenn bodenbewohnende Amöben der Gattung Dictyostelium keine Nahrung mehr finden, geschieht etwas Erstaunliches: Wie auf ein geheimes Signal hin strömen Tausende dieser einzelligen, zu den Schleimpilzen gehörenden Lebewesen zusammen. Sie bilden gemeinsam einen pilzförmigen Körper mit Stiel und Hut, der widerstandsfähige Sporen produziert – die nächste Generation von Einzellern, die auf Nahrungssuche geht, sobald die Umweltbedingungen es zulassen.
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Gezielte Bewegung
Wie diese einzelligen Lebewesen kommunizieren auch unsere Körperzellen miteinander, reagieren auf ihre Umgebung und bewegen sich aktiv fort – also aus eigenem Antrieb. Auf ihren Wanderungen kriechen Zellen durch Gewebe. Sie tasten sich voran, suchen Halt, ziehen und schieben sich durch Lücken. Dabei bewegen sie sich zielgerichtet. Besonders während der Embryonalentwicklung müssen Heerscharen von Zellen den richtigen Platz im Körper finden.
Aber auch im ausgewachsenen Organismus wandern Zellen. Immunzellen beispielsweise spüren Entzündungsherde auf, und Blutgefäßzellen bewegen und verändern sich, um neue Gefäße auszubilden. Krebszellen dringen in Gewebe ein, um dort Metastasen zu bilden.
Vorwärts durch Verformung
Der Schlüssel zur Beweglichkeit der Körperzellen liegt in ihrer Verformbarkeit– auf ihren Wanderungen verändern die Zellen fortwährend ihre Gestalt. Sie bilden Ausstülpungen, zum Beispiel sogenannte Scheinfüßchen, mit denen sie sich am Untergrund oder an anderen Zellen verankern und sich heranziehen können.
Voraussetzung für diese Verformbarkeit sind komplexe Umstrukturierungsprozesse im Inneren der Zelle und in ihrer Außenwand: in der Zellmembran und dem darunter liegenden Zellskelett, einem stabilisierenden Gerüst aus fadenförmigen Proteinstrukturen. Durch den Einbau von Material können Zellskelett und -membran an einer Stelle erweitert werden, während an anderer Stelle Material zusammengezogen beziehungsweise abgebaut wird. Auch Druckveränderungen im Inneren der Zelle spielen bei dem Bewegungsprozess eine Rolle.
Chemische Visitenkarten
Körperzellen sind Bestandteile des Zell-Kollektivs im Organismus. Untereinander erkennen sie sich an bestimmten „Visitenkarten-Proteinen“, die sie auf ihrer Oberfläche präsentieren. Dieser Erkennungsmechanismus spielt auch bei der Abwehr von Krankheitserregern eine Rolle. Für die Wanderung der Zellen im Organismus sind chemische Signale von großer Bedeutung, die im Inneren des Körpers verbreitet werden – Duftstoffen vergleichbar.
Spezielle Rezeptoren auf der Zelloberfläche erkennen diese chemischen Signale, die beispielsweise von benachbarten Zellen, aber auch von weiter entferntem Gewebe ausgesandt werden und den Zellen den Weg weisen. Solche Signale können sich über Gewebeflüssigkeiten verbreiten, kommen aber auch gebunden an zelluläre Strukturen vor. Immunzellen finden einen Entzündungsherd im Gewebe über Chemosignale. Sie orten ihn, indem sie den Signalen entgegen dem Konzentrationsgefälle folgen, sich also in Richtung des stärker werdenden Signals bewegen, bis sie am Ziel angekommen sind.
wissen|leben – Die Zeitung der WWU Münster; 2015/Nr. 2, 8. April
Stand: 17.04.2015