Zu den anatomischen Entdeckungen der letzten Jahre gehören einige, die scheinbar bestens untersuchte Teile unseres Körpers betreffen – von der Hornhaut der Augen über das Kniegelenk bis zu unserem Rachenraum.
Sechs statt fünf Schichten in unserer Hornhaut
Den Anfang machte im Jahr 2013 ein Fund in der Hornhaut des menschlichen Auges. Gängiger Lehrmeinung nach besteht diese feste, durchsichtige Schutzhülle aus fünf Schichten. Innen und außen begrenzt eine Epithelschicht die Cornea, darauf folgt jeweils eine dünne Membran, die das Bindegewebe der Hornhaut, die Stroma, umschließt. Die äußere Membran wird als Bowman-Membran bezeichnet, die innere als Descemet-Membran.
Doch wie der englische Ophthalmologe Harminder Dua entdeckte, sitzt zwischen dem Stroma und der Descemet-Membran noch eine weitere Schicht. Sie zeigte sich, als Dua und sein Team feinste Luftbläschen in die Cornea injizierten, um die Schichten voneinander zu trennen. Unter dem Elektronenmikroskop trat dadurch die nach ihren Entdecker „Dua-Schicht“ getaufte Struktur zutage.
Die Dua-Schicht ist nur 15 Mikrometer dünn und macht daher nur einen winzigen Bruchteil der rund einen halben Millimeter dicken Hornhaut aus. Doch dank eines dichten Geflechts von Elastinfasern ist sie besonders fest und kann selbst mehr als zwei Bar Druck standhalten, wie Tests ergaben. Zudem ist die Dua-Schicht luftundurchlässig. Sie bildet daher in mehrfacher Hinsicht einen wichtigen Teil der Cornea-Schutzhülle.
„Dies ist eine bedeutende Entdeckung, durch die die Ophthalmologie-Lehrbücher umgeschrieben werden müssen“, sagt Dua. Tatsächlich hat die Dua-Schicht seither Eingang in die Fachliteratur gefunden. Das Wissen um diese zusätzliche Hornhautschicht hat jedoch auch ganz praktische Bedeutung für die Augenheilkunde und -chirurgie. So ist diese Struktur wichtig für Hornhaut-Transplantationen und könnte auch eine wichtige Rolle für einige Augenerkrankungen wie den Grünen Star und den durch Hornhautrisse entstehenden Keratokonus spielen.
Eine neues Band im Knie
Ebenfalls im Jahr 2013 stießen belgische Mediziner auf eine neue Struktur im Kniegelenk – das anteriolaterale Ligament. Dieses Band wurde zwar in einigen älteren Chirurgietexten beschrieben, seine Existenz und Bedeutung waren aber umstritten. Steven Claes und Johan Belleman von der Universität Louvain klärten dies, als sie untersuchten, warum so viele Patienten nach einer operative Reparatur ihres vorderen Kreuzbands immer noch Probleme mit der Stabilität des Kniegelenks hatten: Trotz der Operation knickte ihnen das Knie manchmal mitten in der Bewegung weg.
Um diesem Problem auf den Grund zu gehen, sezierten die Wissenschaftler die Kniegelenke von 41 menschlichen Leichen und nahmen sich noch einmal mehr als 350 Kernspintomografien von Kniepatienten vor. Es zeigte sich: Im intakten Knie setzt am seitlichen Vorsprung des Oberschenkelknochens direkt neben dem Außenband ein weiteres Band an. Dieses hat Kontakt mit dem Außenmeniskus und läuft dann weiter nach schräg vorne unten bis zur Vorderseite des Schienbeinkopfes. Es trägt damit zur Stabilität des Kniegelenks bei.
Claes und Belleman haben die Existenz dieses inzwischen als anteriolaterales Ligament (ALL) bezeichneten Struktur bestätigt und auch geklärt, warum es bei einigen Kniepatienten nicht ausreicht, nur das Außenband zu nähen: Ist auch das ALL gerissen, bleibt ihr Knie möglicherweise instabil.
Ein viertes Speicheldrüsen-Paar
Und es gibt noch einen Fund in einem vermeintlich bestens untersuchten Körperteil: unserem Rachen. Gängiger Ansicht nach ist die Schleimhaut dort mit tausenden winziger Drüsen durchsetzt, dazu gibt es drei große paarige Speicheldrüsen – unter der Zunge, in der Wange und seitlich am Unterkiefer. Im Oktober 2020 jedoch berichteten Matthijs Valstar vom Niederländischen Krebsinstitut in Amsterdam und sein Team von einem vierten Paar Speicheldrüsen.
Diese knapp vier Zentimeter lange paarige Drüse versteckt sich an der hinteren Wand des Nasenrachens. Dort, am Ausgang der Eustachischen Röhre, bildet die Rachenschleimhaut einen Wulst. Zwar hatte man schon zuvor angenommen, dass es dort kleine Drüsen gibt. Mithilfe einer speziellen Positronenemissions-Tomografie (PET) nebst Biomarker konnten Valstar und sein Team nun jedoch beweisen, dass es sich um eine durch Drüsen und Ausführgänge gekennzeichnete makroskopische Speicheldrüse handelt – ein viertes Paar.