Dass der Mensch beim Kannibalismus durchaus alte Traditionen pflegt und sich anscheinend sogar an seine Ursprünge erinnert, offenbart ein Blick in die Geschichte.
Tatort Rhonetal vor 100.000 Jahren. Hier lebte damals ein guter alter Bekannter des heutigen Menschen, der Neandertaler. Was bis dahin niemand auch nur vermutet hatte, bewiesen 1999 Wissenschaftler des CNRS Anthropology Labroratory in Marseille unter der Leitung von Alban Defleur: Die Neandertaler waren Kannibalen – zumindest gelegentlich!
Knochenfunde liefern Beweis
Ihre Ergebnisse basierten auf insgesamt 78 Knochenfunden von sechs ermordeten Humanoiden, zwei erwachsenen, zwei „Teenagern“ und zwei Kindern in der Höhle Moula Guercy, die in der Region Ardeche hoch über der Rhone thront. Von den entdeckten Skelettteilen – so die Forscher – hatte man fein säuberlich das Muskelfleisch entfernt. Zahlreiche Knochen waren zudem aufgebrochen und das wertvolle, nahrhafte Mark ausgesaugt worden. Bei einem der Kinder fehlte sogar die Zunge.
Da zu der Zeit außer dem Neandertaler niemand aus der menschlichen Ahnengalerie diese Region bewohnte, schlossen die Wissenschaftler, dass es sich hier eindeutig um Kannibalismus gehandelt haben müsse. Die Gründe für diese „Barbarei“ jedoch blieben unklar. Wurden die Neandertaler ausschließlich als Nahrung von Ihresgleichen getötet oder spielten doch eher religiöse oder rituelle Gründe eine Hauptrolle? Die Forscher wissen es einfach nicht.
Menschenopfer auf den Osterinseln
Aber man muss gar nicht soweit zurück in die Vergangenheit gehen, um auf Kannibalismus zu stoßen. Glaubwürdige Berichte über Menschenfresserei gibt es auch von der Osterinsel. Die Bewohner, eingewanderte Polynesier aus der umliegenden Inselwelt, brachten im Rahmen ihres jährlichen Nationalfestes jahrhundertelang ihren Göttern Menschenopfer, die dann von den Häuptlingen mit Begeisterung verspeist wurden.
Im zwölften Jahrhundert dagegen, so ermittelten Wissenschaftler der University of Colorado Scholl of Medicine, grassierte die Menschenfresserei auch unter den Ureinwohnern Amerikas. Damals wütete eine verheerende Dürre im Bereich des heutigen US-Bundesstaats Colorado und ließ die Nahrungsmittel knapp werden. Der einige Ausweg zum Überleben: Kannibalismus!
Die Eroberung des amerikanischen Westens 700 Jahre später ging wohl ebenfalls nicht ohne das Verzehren von Artgenossen vonstatten. Auf den Trecks soll es nach Augenzeugenberichten während extremer Hungerzeiten ebenfalls wiederholt Fälle von Kannibalismus gegeben haben. Der Hunger war aber auch in Europa während der großen Weltkriege der Grund für Auswüchse von Kannibalismus. Kriegsberichterstatter dokumentierten in mehreren unabhängigen Schilderungen, dass Leichenteile von gefallenen Feindsoldaten gelegentlich auch hier den Speiseplan von Armeeangehörigen oder der Zivilbevölkerung bereicherten…
Stand: 14.04.2001