Je nach Wind, Wetter und Wellen ist jeder Eisberg einzigartig geformt. Gemächlich durchkreuzen die „weißen Kolosse“ ob groß oder klein, dick oder dünn, flach oder rund, ausgehöhlt oder kompakt die Polarmeere der Arktis und Antarktis. Doch wenn man genauer hinschaut, unterscheiden sich die Eisberge der Nord- und Südhalbkugel schon während der „Geburtsstunde“ vor allem in Größe und Gestalt.
In der Arktis ragt ein mittelgroßer Eisberg etwa 15 bis 50 Meter über dem Meeresspiegel auf. Er hat dabei eine durchschnittliche Länge von 60 bis 100 Metern und ein Gewicht von bis zu 300.000 Tonnen. Die kleineren, weniger als fünf Meter aus dem Wasser heraus ragenden Eisberge nennen die Glaziologen Growler. Sie entstehen meist, wenn größere Eisberge auseinanderbrechen.
Klein, zersplittert, brüchig…
Im Nordpolarmeer kalben rund 90 Prozent der Eisberge von den Gletschern Grönlands. Der Rest der nordpolaren Eisberge entstammt den Gletschern um Spitzbergen, Franz-Joseph-Land, Nowaja Semlja und den kanadischen Inseln. Die Insel Grönland ist mit einem bis zu 3.000 Meter dickem Eispanzer bedeckt. Diese Eismasse schieben etwa 100 Gletscher mit einer Geschwindigkeit von rund sieben Kilometer im Jahr ständig in Richtung Meer. Dabei wird das untere Eis des Gletscherrandes von der Meeresbrandung nach und nach weggespült. Hat das Meerwasser so den Gletscher mit der Zeit vom Talboden gelöst, bildet sich quer durch den Gletscher von unten nach oben ein breiter Riss. Laut Krachend fällt die losgelöste Eismasse dann nach vorne weg und zerbricht in zahllose kleinere Eisberge.
Groß, flach, kantig…
Ganz anders verläuft die Geburt der Eisberge in der Antarktis. Dort entstehen an der Kalbungsfront entlang der Schelfeiskante wahre Eisbergriesen. Im Gegensatz zur Arktis sind die Eisberge der Antarktis fast ausschließlich Tafeleisberge. Mit einer ebenen Oberfläche ragen die Ränder dieser „Eisschollen“ fast wie eine senkrechte Wand aus dem Meer. Dabei besitzen die Eisberge eine Mächtigkeit von durchschnittlich 250 Metern, wobei nur knapp 40 Meter über die Wasseroberfläche ragen. Dagegen sind die vielen kleinen nordpolaren Eisberge, der direkt ins Meer endenden Gletschern oft unregelmäßig, zerklüftet und brüchig.
Egal ob im Nord- oder Südpolarmeer, nach ihrer Geburt driften und treiben die Eisberge mit den regionalen Strömungen. Dabei ragt immer nur die Spitze des schwimmenden Eisbergs, rund 20 Prozent des Gesamtkörpers, aus dem Wasser. Sieben Achtel bleiben unter Wasser verborgen. Mit der Zeit können Wellen, Schmelzwasser und Brandung wahre Eisskulpturen formen. Je nach Alter entstehen dabei zunächst unebene Eisberge, dann gerundete Eisberge und schließlich bizarr anmutende Tore, Bögen, Rinnen und Schluchten. Gerät der Eisberg dabei in eine unstabile Lage, verliert er sein Gleichgewicht und kippt um. Letzteres wird oftmals auch als „kentern“ bezeichnet.
Auf Wanderschaft
Während sie schmelzen und somit ihre Form verändern, gehen die Eisberge der Arktis auf eine kilometerlange Wanderschaft. Ausgangspunkt für fast 40.000 gekalbte Eisberge jährlich ist die Baffinbai zwischen dem 70. und 80. Breitengrad. Von dort driften sie entlang der Davisstrasse und der nordamerikanischen Küste gen Süden. Mit dem kalten Labradorstrom passieren sie schließlich Neufundland, wo sie vom warmen Golfstrom erfasst werden. Nur noch rund ein bis zwei Prozent, 400 bis 800 der gestarteten Eisberge, überqueren nach einer etwa einjährigen Reise den 48. Breitengrad vor der kanadischen Küste Neufundlands. Sind die Bedingungen günstig, können sogar vor den Azoren und dem Badeparadies der Bermudas Eisberge gesichtet werden.
Im Gegensatz zu den Eisbergen der nördlichen Hemisphäre sind die Eisberge der südlichen weniger wanderfreudig und haben dadurch nicht nur eine längere Verweil-, sondern auch Lebensdauer. Aufgehalten von der zirkumpolaren Strömung der Antarktis driften sie über Jahre um den „sechsten Kontinent“ herum. Dabei laufen sie auf Grund und/oder werden vom dortigen Packeis für viele Winter eingeschlossen. So werden die südlichen Eisberge nicht selten bis zu 15 Jahre alt.
Um den „Werdegang“ der Eisberge besser beobachten zu können, geben die Eisbergforscher den schwimmenden Schollen und Berge jeweils einen Namen. Zu diesem Zweck haben sie die Antarktis in vier Quadranten unterteilt. Je nachdem in welchem dieser Quadranten der Eisberg vom Schelfeis wegbricht, bekommt er den Namen A, B, C oder D und dann eine fortlaufende Nummer. So heißt zum Beispiel der im März 2000 vom Schelfeis im Rossmeer abgebroche Tafeleisberg B-15, weil er der 15. im Quadranten B ist. Da auch dieser bereits in kleinere Eisberge zerbrach, heißen seine Teilstücke B-15A und B-15B.
Stand: 22.09.2003