Medizintechnik

Ausgestorben, aber nicht tot

Pocken (Variola)

Der Einsatz von Pocken zur biologischen Kriegsführung ist keine Erfindung der Neuzeit. Schon 1754-67, während des britisch-französischen Krieges in Nordamerika, verteilten britische Soldaten pockenverseuchte Decken an die indianischen Verbündeten der Franzosen. Mit schrecklichen Folgen: Tausende von Menschen gingen an der sich rapide ausbreitenden Seuche zugrunde, in einigen Regionen starben weit mehr als die Hälfte aller Ureinwohner.

Seit 1977 gilt die einstmals weltweit vorkommende Seuche als ausgerottet, die früher üblichen Reihenimpfungen wurden in allen Ländern der Welt eingestellt. Die Gefährlichkeit der Seuche als Biowaffe ist dadurch noch gewachsen: Nach Schätzungen der WHO sind heute mehr als 60 Prozent der Bevölkerung weltweit nicht mehr gegen die Pocken immunisiert – und wären damit einem Angriff mit Pockenviren schutzlos ausgesetzt. „Eine absichtliche Wiedereinführung der Pocken als Epidemie wäre ein internationales Verbrechen von bislang unerreichtem Ausmaß, wird aber jetzt als Möglichkeit betrachtet“, erklärt daher auch die Arbeitsgruppe für zivile Bioabwehr im Journal der Amercian Medical Association (JAMA).

Offiziell verfügen seit Ende der 1970er Jahre nur noch zwei Labors weltweit über Vorräte des Pockenvirus, die Centers of Disease Control (CDC) in Atlanta und das Institut für Virusforschung in Moskau. Zumindest von der früheren Sowjetunion ist jedoch bekannt, dass sie bis in die 1980er Jahre hinein – und vermutlich bis heute – Pockenviren für den Einsatz in Bomben und Interkontinentalraketen entwickelte. Pro Jahr wurden dafür in den sowjetischen Biowaffenfabriken mehrere Tonnen waffenfähige Viren produziert.

Wegen der politischen Umbrüche und finanziellen Verschlechterungen in Russland befürchten Biowaffenexperten nicht nur einen zunehmenden „Export“ von Wissenschaftlern des russischen Biowaffenprogramms, sondern auch von Pockenviren ins Ausland. Inwieweit inzwischen auch andere Staaten im Besitz von Pockenviren sein könnten, ist nicht genau bekannt. Experten wie der ehemalige Leiter des russischen Biowaffenprogramms Ken Alibek gehen jedoch von zehn möglichen Kandiaten aus, darunter auch der Irak und Nordkorea.

Steckbrief:

Erreger:
Auslöser der Pocken ist der Variola-Virus, einer der größten und komplexesten Viren überhaupt. Es handelt sich um einen DNA-Virus der Gattung der Orthopoxviren. Zu dieser Gruppe gehören auch die Affenpockenviren, Kuhpockenviren und der für die Pockenimpfung genutzte Virus Vaccinia.

Übertragung:
Das Variola-Virus ist hochinfektiös, schon die Aufnahme nur weniger Virionen über die Schleimhäute kann ausreichen, um die Krankheit auszulösen. Die höchste Ansteckungsgefahr von Mensch zu Mensch besteht zwischen dem 14. und dem 24. Tag nach der Infektion.

Symptome/Diagnose:
Nach einer Inkubationszeit von 12 bis 14 Tagen treten hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und Erschöpfung auf. Anschließend entwickelt sich ein blasiger Ausschlag in Mundhöhle, Gesicht und Extremitäten, der sich auch auf den Rumpf ausbreitet. 8-9 Tage nach Ausbrechen des Ausschlags beginnen die Bläschen zu verkrusten, der Patient, wenn er dann noch lebt, beginnt sich zu erholen. Narben bleiben zurück. Durchschnittlich sterben bis zu 30 Prozent der Infizierten.

Vorbeugung:
Eine aktive Immunisierung bietet eine Impfung mit lebenden, aber abgeschwächten Vacciniaviren. Sie ist auch noch bis zu vier Tage nach einer Infektion wirksam. Allerdings treten starke Nebenwirkungen auf. Bei einer Million Impfungen muss mit ein bis zwei Todesfällen und rund 15 lebensbedrohlichen Komplikationen gerechnet werden.

Behandlung:
Eine echte Therapie für Pocken existiert nicht, einzige Behandlungsmöglichkeit ist die Gabe von Antibiotika zur Bekämpfung sekundärer bakterieller Infektionen.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. 8
  18. |
  19. 9
  20. |
  21. 10
  22. |
  23. 11
  24. |
  25. 12
  26. |
  27. 13
  28. |
  29. 14
  30. |
  31. weiter
Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Biowaffen
Wie groß ist die Gefahr?

Panikmache oder begründete Angst?
Die Wahrscheinlichkeit einer Bioterrorattacke

...und der Irak?
Saddam, Biowaffen und der Bioterror

Man nehme...
Was braucht ein Bioterrorist?

Januskopf Bioforschung
Mehr Kontrolle - aber wie?

Ein zahnloser Tiger...
Die Biowaffenkonvention

Was wäre wenn?
Das Problem der Erkennung...

Sind wir vorbereitet?
Das Problem der Zuständigkeiten und Strukturen

Totgesagte leben länger...
Renaissance der Pockenimpfung?

Killeragenzien von A bis C
Die Gefahrenkategorien der CDC

Von der Kuhseuche zum Kampfstoff
Anthrax (Bacillus anthracis)

Der Schwarze Tod kehrt wieder
Pest (Yersinia pestis)

Das tödlichste Gift der Welt
Botulinum Toxin (Gift von Clostridium botulinum)

Ausgestorben, aber nicht tot
Pocken (Variola)

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Mikroskop hilft beim Aufspüren von Biowaffen
Fluoreszenzmikroskop für Einsatz in Entwicklungsländern entwickelt

Botulismus-Toxin: Doppelschritt macht Gift erst tödlich
Struktur der Bindung zwischen Toxin und Nervenzelle aufgeklärt

Pocken: Als Biowaffe gefährlicher denn je?
Simulation zeigt unzureichende Schutzmaßnahmen bei Freisetzung

Anthrax-Toxin neutralisiert
Neuer Immuntherapie-Ansatz gegen Anthrax

Gen macht anfällig für Anthrax-Gift
Forscher finden große Spannbreite der Toxin-Empfindlichkeit innerhalb der Bevölkerung

Dossiers zum Thema

Das Supervirus - Influenza, Artschranken und die Angst vor einer Biowaffe aus dem Forschungslabor