Bei Erdbeben entstehen verschiedene Wellen. Die schnellsten, sogenannten P-Wellen, sind bis zu 20.000 Kilometer pro Stunde schnell, aber eher ungefährlich. Sie können von Erdbebennetzen ausgewertet werden, die Zeit reicht, um zumindest große Gasleitungen abzustellen und Hochgeschwindigkeitszüge anzuhalten. Große Schäden lösen die nur halb so schnellen Scher- und Oberflächenwellen aus.
Komplexe Mechanismen
Die tatsächlichen Mechanismen sind komplex und faszinierend zugleich. Als in Tokio die Hochhäuser zitterten und überall im Land die Erde bebte, kam es sogar in Bayern zu einer horizontalen Bodenverschiebung von 2,5 Zentimetern, 9.000 Kilometer vom Epizentrum entfernt, schwankte in einem Messbohrloch im österreichischen Zillertal der Grundwasserspiegel um einen halben Meter.
„Absolut erstaunlich“, sagt Heiner Igel. Da sich auch die Masse der Erde insgesamt umverteilte, hatte dies sogar Auswirkungen auf die Erdrotation. Der Tag wurde um drei Mikrosekunden kürzer. Und die Erde tönte monatelang wie ein Klangkörper.
Christchurch-Beben überraschten Forscher
Das Japan-Beben vom März 2011 hat die Seismologen bezüglich der Stärke überrascht, doch noch viel mehr in ihren Grundfesten erschüttert haben sie die Erdstöße im neuseeländischen Christchurch. „Das Beben in Neuseeland hat niemand erwartet“, sagt Heiner Igel. „Hier müssen wir uns als Seismologen für unsere Gefährdungsanalysen entschuldigen.“
Zweimal innerhalb von einem halben Jahr ist die Stadt mit knapp 400.000 Einwohnern betroffen gewesen, mit Beben der Stärke 7,1 und 6,3. Das vermeintlich schwächere Beben hat weitaus größere Schäden verursacht. Mit mehr als zweifacher Erdbeschleunigung hob sich der Untergrund. Selbst eigentlich erdbebensicher gebaute Häuser trugen schwere Schäden davon.
Einzelne Gebäude in der Innenstadt wie ein Bürokomplex oder ein Fernsehgebäude, sind möglicherweise von einer besonders heftigen lokalen Erschütterung getroffen worden. Seismologen glauben, ein nahe der Stadt gelegener, erloschener Vulkan könnte seismische Wellen reflektiert und so verstärkt haben. Doch zu viel ist noch unklar.
Historischen Tsunamis auf der Spur
Gerade sei eine Delegation aus Neuseeland am Institut gewesen, sagt Igel. Auch deren Mitglieder seien ratlos. Doch eine heiße Spur haben sie. Um die Häufigkeit von Beben genauer zu erfassen, bohren derzeit Geologen weltweit an den Tsunami-bedrohten Küsten nach Spuren früherer Beben, Sand- und Schlammschichten im Sediment. Bislang ließen sich Beben rund 100 Jahre zurückverfolgen, so lange gibt es die Messungen.
Lange dachten die Forscher, das sei ausreichend. Aber mittlerweile setzt sich die Erkenntnis durch, dass man zeitlich sehr viel tiefer vordringen müsse, die Bohrkerne sind ein Archiv für Tausende von Jahren. Nur so kommt man dem Rhythmus großer Beben auf die Spur.
Hubert Filser/ „Einsichten – Das Forschungsmagazin“ der Ludwig-Maximilians-Universität München
Stand: 08.12.2011