Nach gut 50 Jahren Raumfahrt, mit mehr als 4.800 Starts und rund 6.000 ausgebrachten Satelliten wird es langsam gefährlich eng im erdnahen Weltraum. Den vermeintlich „unendlichen Weiten“ droht eine Überfüllung. Geht die Raumfahrt mit unverändertem Tempo weiter wie bisher, könnte schon Ende dieses Jahrhunderts das Kollisionsrisiko mit Satelliten und Weltraumschrott so hoch liegen, dass Starts neuer Missionen nicht mehr stattfinden können. Dies prognostizierten bereits im Jahr 1999 Hochrechnungen in einem Technischen Report der UNO zum Thema Weltraumschrott.
900 künstliche Trabanten…
Am wenigsten problematisch ist dabei noch die Zahl der tatsächlich aktiven Satelliten: Von ihnen gibt es gerade einmal knapp 900. Sie verteilen sich zum einen auf den erdnahen, „Lower Earth Orbit“ (LEO) in rund 200 bis 1.200 Kilometern Höhe. Hier ziehen beispielsweise das Weltraumteleskop Hubble und der europäische Erdbeobachtungssatellit Envisat ihre Bahn, aber auch Spionage- und Kommunikationssatelliten sowie die Internationale Raumstation ISS finden sich hier.
Weiter draußen, in knapp 36.000 Kilometer Höhe liegt der geostationäre Orbit. Wie Perlen auf einer Schnur reihen sich hier die GPS-Navigationssatelliten, viele Wettersatelliten aber auch Stationen zur TV- und Telefonübertragung in einem Ring längs des Äquators. Sie alle bewegen sich synchron zur Drehung der Erde und stehen daher ständig über dem gleichen Punkt der Erdoberfläche. Und ihre Anzahl wächst schneller als alles andere: Allein 2009 brachten Raketen und Shuttles rund 80 neue Satelliten in den Orbit, für die nächsten Jahre sollen für den geostationären Orbit weitere 100 hinzukommen.
…und um ein Vielfaches mehr an Schrott
Leider aber sind die aktiven Satelliten lange nicht alles, was in diesen beiden orbitalen Hauptverkehrszonen herumfliegt. Denn nahezu jedes Objekt, was einmal in einen dieser Orbits hinaufgebracht wurde, bleibt hier Jahrzehnte bis Jahrhunderte lang, egal ob noch funktionierend oder nicht. In der Erdumlaufbahn finden sich daher bis heute hunderte von ausgemusterten Satelliten, darunter auch noch solche aus der Ära des kalten Krieges. Seit Jahrzehnten stillgelegt, war es bisher unproblematischer und billiger, sie einfach auf ihren Bahnen zu belassen. Ähnliches gilt für die ausgebrannten Oberstufen von Raketen, die – oft noch mit Treibstoffresten gefüllt – unkoordiniert im Orbit herumtaumeln. (Video: Explosion eines Triebwerks im Orbit)
Weitaus häufiger vertreten sind noch die unzähligen Relikte von Satelliten und Sonden, die im Missionsverlauf gezielt oder versehentlich freigesetzt worden sind. Das Spektrum reicht hier von abgesprengten Haltebolzen, Spannbändern oder Schutzklappen bis hin zu Schlackebrocken, Metallteilchen aus Raketentriebwerken und von der Außenhaut von Sonden abgeplatzten Farbpartikeln. Bis zu vier solcher Bauteile pro Mission, so schätzen Forscher, gelangten so bisher in den Orbit. Inzwischen hat sich diese Rate etwas verringert, da die meisten Betreiber und Staaten heute versuchen, diese unnötige Schrottproduktion zu vermeiden.
Knapp 18.000 Objekte von mehr als zehn Zentimetern Größe umfasst inzwischen allein der Katalog des US Space Surveillance Network, einem Netzwerk zur Weltraumüberwachung auf Basis von rund 25 Radaranlagen und Teleskopen. Ihre Bahnen sind bekannt und – wenn sie nicht durch Taumeln chaotisch und irregulär geworden sind – auch weitestgehend vorhersagbar.
Millionen fliegender Miniprojektile
Anders dagegen sieht dies bei den kleineren Weltraumschrott-Teilchen aus, hier können die Experten nur schätzen und aufgrund von Modellen hochrechnen. In der Größenordnung bis hinunter zu einem Zentimeter Größe gibt es demnach vermutlich mindestens 600.000, dazu könnten noch mehrere Millionen noch kleinerer Teilchen im Millimeter bis Mikrometermaßstab kommen. Ein Großteil dieser winzigen Partikel sind Trümmer, die erst in der Umlaufbahn entstanden sind: durch Explosionen von Treibstoffresten in Raketenoberstufen, aber auch durch Kollisionen anderer, größerer Schrottteile.
Insgesamt schätzen Experten die Menge des Weltraumschrotts auf rund 6.000 Tonnen. Und der größte Teil dieser orbitalen Müllhalde kreist ausgerechnet dort, wo sich die meisten und teuersten Satelliten befinden: in Höhen zwischen 600 und 1.000 Kilometern und damit dem oberen Bereich des Lower Earth Orbits.
Trümmer erzeugen Trümmer: der Kaskaden-Effekt
Doch damit nicht genug, entwickelt der Weltraummüll, einmal im All deponiert, auch ein fatales Eigenleben. „Selbst wenn man heute mit der Raumfahrt aufhörte, würde die derzeitige Trümmermasse im Orbit ausreichen, um immer neue Trümmer entstehen zu lassen“, erklärte Heiner Klinkrad, Leiter der Weltraumschrott-Abteilung bei der Europäischen Weltraumagentur ESA. Was dies bedeutet, darauf stieß der NASA-Forscher Donald Kessler bereits im Jahr 1978 – zu einer Zeit, als der Erdorbit im Vergleich zu heute noch geradezu leer war. Schon damals prognostizierte er, dass mit steigender Satellitendichte in der Umlaufbahn auch die Zahl der Kollisionen zunehmen würde. Und jede dieser Kollisionen würde wiederum Hunderte oder gar Tausende neuer Trümmerteilchen produzieren, die ihrerseits zu neuen Kollisionen führen könnten. Das Risiko für Treffer im All steigt damit nicht linear, sondern exponentiell an. (Video: Trümmerausbreitung nach einer Kollision)
„Es ist nichts komplexes an dem, was ‚Kessler-Syndrom‘ genannt wird. Es ist einfach die Art, wie die Natur früher auch eine ungeordnete Gruppe von kreisenden Gesteinsbrocken in ein geordnetes Sonnensystem umgewandelt hat“, erklärt Kessler den heute nach ihm benannten Effekt. „Obwohl die Natur uns alle paar Millionen Jahre mit einem Asteroiden oder Kometentreffer daran erinnert, dass dies noch nicht ganz abgeschlossen ist. Im Falle des Weltraumschrotts hat dieser Kollisionsprozess gerade erst begonnen.“
Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010