Herr Professor Schellnhuber, die Weltklimakonferenz in Kopenhagen steht bevor. Wie sieht für Sie das ideale Ergebnis der Konferenz aus?
Das ideale Ergebnis wäre natürlich ein verbindlicher Weltklimavertrag, welcher dem Ausmaß und der Dringlichkeit der Bedrohung gerecht würde. So habe ich es als einer der Teilnehmer des Nobelpreisträger-Symposiums im Mai 2009 in London im „Saint-James-Palace-Memorandum“ mitformuliert. Mittlerweile haben rund 60 Nobelpreisträger diesen Aufruf an Politik und Gesellschaft unterzeichnet. Verfolgt man jedoch die Vorbereitungsprozesse für Kopenhagen, wird man bescheidener.
Das Maximalergebnis wäre nunmehr wohl eine politische Übereinkunft zwischen den Regierungschefs, die durch spätere Verhandlungen nicht mehr aufgebrochen werden kann und die drei Kernelemente enthalten muss: Erstens, das Bekenntnis zur Zwei-Grad-Leitplanke für die anthropogene Erderwärmung. Zweitens, die Anerkennung der Notwendigkeit, dass die globalen Treibhausgas-Emissionen vor 2020 ihren Scheitelpunkt erreicht haben müssen. Drittens, die Einigung auf faire Grundsätze bei der internationalen Lastenteilung für den Klimaschutz.
Sie sagten einmal in einem Interview, dass es auf unserem Planeten keine Hochzivilisation, wie wir sie heute kennen, mehr geben wird, sollte sich das globale Klima um fünf bis sechs Grad erwärmen. Welche konkreten Folgen der globalen Erwärmung werden eintreten?
Meine Aussage wird gestützt vom Wissen, dass sich die menschliche Entwicklung seit der neolithischen Revolution in einem klimatischen Gunstfenster außerordentlicher Umweltstabilität vollzogen hat – gegenwärtig arbeiten wir mit Macht an der Zerstörung dieser Stabilität. Statt alle potentiell desaströsen Auswirkungen aufzuzählen, will ich mich auf das vitale Element Wasser konzentrieren:
In einer 5-Grad-plus-Welt würde der Meeresspiegel langfristig um mehr als 50 Meter steigen und dadurch viele der heutigen Küstenzonen (wo sich Wirtschaft und Kultur konzentrieren) eliminieren. Am topographischen Gegenpol, im Hochgebirge, würden praktisch alle Gletscher verschwinden. Dies hätte unter anderem zur Folge, dass schmelzwasserabhängige Gesellschaften, etwa in den Anden oder in Südostasien, nicht weiterbestehen könnten. Der ungebremste Klimawandel würde schließlich auch die Kluft zwischen regenarmen und regenreichen Gebieten weiter vertiefen. Insbesondere die Mittelmeerregion wäre von vollständiger Desertifikation bedroht. Jeder kann sich vorstellen, welchen Auswanderungsdruck die Summe der drei genannten Faktoren erzeugen dürfte.
Was wären Ihrer Ansicht nach die drei wichtigsten Maßnahmen, um die globale Erwärmung zu stoppen?
Das habe ich im Grundsatz schon eingangs beantwortet, kann jedoch gerne noch konkreter werden: Bei strikter Beachtung eines Globalbudgets von 750 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen aus fossilen Quellen ließe sich die Erderwärmung mit einer Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit auf zwei Grad Celsius begrenzen. Das ist übrigens ein deutlich höheres Risiko als beim Russischen Roulette, aber bessere Sicherheitsstandards für unseren Planeten werden wir aufgrund zweier verlorener Jahrzehnte wohl nicht mehr garantieren können.
Das genannte Kohlenstoffgesamtbudget sollte gleichmäßig auf die Weltbevölkerung in Form von Emissionsrechten aufgeteilt, allerdings wirtschaftlich optimal im Rahmen eines internationalen Zertifikatehandels genutzt werden. Die Menschheit wird mit diesem knappen Gut dennoch nur zurechtkommen, wenn die Investitionen im Bereich der Forschung und Entwicklung in nachhaltige Technologien wie Solarthermie weltweit signifikant gesteigert werden.
Was tun Sie in Ihrem Privatleben, um die Klimaveränderung zu bremsen?
Wenn jeder Mensch so viel fliegen müsste, wie ich, wäre es um das Erdklima noch schlechter bestellt. Als Entschuldigung kann ich immerhin anführen, dass meine 80-Stunden-Woche vielleicht einen winzigen Beitrag zur Nachhaltigkeitswende leistet. Privat wälzen wir derzeit intensiv Pläne zur energetischen Vollsanierung unseres Hauses. Und unser kleines Familienauto wird praktisch überhaupt nicht mehr für Vergnügungsfahrten genutzt.
Gibt es aus Ihrer Forschung zum Klimawandel auch gute Nachrichten zu vermelden?
Es wird gerade in gemäßigten Klimazonen wie Europa auch Entwicklungen geben, die man nutzen kann und sollte. Vielleicht mag manchem die fortschreitende Erderwärmung mit einem Glas vorpommerschen Riesling in der Hand weniger schlimm vorkommen. Und die weltweite Produktion von Nahrungsmitteln könnte mittelfristig durchaus vom CO2-Düngungseffekt profitieren, wenn der Klimawandel maßvoll ausfällt: Schließlich ist Kohlendioxid der Grundstoff der Photosynthese.
Das Interview fand statt im Rahmen der „Kluger Kopf“-Kampagne der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Scholz & Friends/ FAZ
Stand: 10.12.2009