Ermuntert durch den Erfolg der Galapagos-Expedition beschließt Heyerdahl als nächstes die Osterinsel nach Indizien für seine Theorie abzusuchen. 1955 macht sich ein 23 Mann starkes Wissenschaftlerteam auf den Weg zu dem nur 171 Quadratkilometer großen Eiland, das mehr als 3.500 Kilometer vom nächsten Land entfernt mitten im Pazifik liegt. Die Osterinsel oder Rapa Nui, wie der polynesische Name der Insel lautet, ist berühmt für seine zahlreichen riesigen Moai-Steinköpfe, deren Ursprung und Sinn allerdings noch immer weitgehend unbekannt sind.
Die Wissenschaftler erkennen bei den ersten unterirdischen Ausgrabungen auf der Insel überhaupt, dass Rapa Nui früher einmal sehr waldreich gewesen musste. Erst durch das Abholzen der Bäume durch die Ureinwohner war es dann zu der jetzt vorherrschenden kärglichen Vegetation gekommen. Kohlenstoffdatierungen belegen zudem eine Besiedlung der Insel seit mindestens 380 vor Christus – dies sind 1.000 Jahre länger als man bis dahin glaubte.
Im Rahmen ihrer Arbeit auf der Osterinsel können Heyerdahls Archäologen darüberhinaus einige andere Rätsel des Eilandes lösen. So finden sie heraus, dass die berühmten Moai-Steinköpfe in Wirklichkeit früher riesige Statuen waren, die in Erde und Steinbruch-Trümmern begraben wurden. Die Expedition entdeckt aber auch einen auf der Osterinsel bisher unbekannten Typ Statue, die vom Stil her den Kunstwerken gleicht, die man auch in Südamerika gefunden hatte. War das nicht ein sicherer Hinweis darauf, dass südamerikanische Boote schon vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden bis hierher vorgedrungen waren?
Wichtiger als alle anderen Funde sind für Thor Heyerdahl und seine Völkerwanderungstheorie allerdings die Boote, die er auf der Osterinsel zu Gesicht bekommt. Sie sind aus einer Schilfpflanze mit dem Namen Totora gebaut, die in einigen Regionen von Rapa Nui wächst. Das gleiche Material verwenden bis heute auch die Aymara-Indianer vom Titicacasee im Peru und Bolivien um ihre beinahe unsinkbaren Wasserfahrzeuge zu bauen.
Da auch einige Legenden der Rapa Nui-Bewohner davon sprechen, dass ihre Ahnen aus einem weit entfernten Land im Osten stammen, ist für Heyerdahl der Fall endgültig klar: Einwanderer aus Südamerika hatten – wann auch immer – die Osterinsel und vielleicht auch Polynesien als erste besiedelt und nicht Südostasiaten.
Die Ergebnisse und Funde Heyerdahls werden 1961 auf dem 10. Pacific Science Congress in Honolulu ausführlich präsentiert und diskutiert. Während des Kongresses verabschieden die Delegierten schließlich eine Resolution, die das eherne Gesetz der Archäologie über die südostasiatische Invasion nach Polynesien zumindest ein wenig aufweicht: „Südostasien und die angrenzenden Inseln bilden genauso eine herausragende Informationsquelle über die Menschen und Kulturen der Pazifischen Inseln wie Südamerika auf der anderen Seite des Pazifik.“
Stand: 01.01.2003