Sicherheitssysteme? Nicht in ausreichendem Maße installiert oder gar abgeschaltet. Katastrophenpläne? Fehlanzeige. Darüber hinaus zu wenig und dazu auch noch mangelhaft ausgebildetes Personal: Der Chemie-Konzern Union Carbide, heute Dow Chemical, hatte im Vorfeld des Giftgasunglücks in seiner Pestizid-Fabrik in Bhopal „vorgeschriebene Sicherheitsstandards aus Kostengründen vernachlässigt“ – so zumindest das Fazit der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“. Er trägt damit wohl eine gehörige Mitschuld an der Katastrophe in Bhopal.
Doch die ist auch mehr als 25 Jahre später nicht einmal ansatzweise vorbei. Das haben Betroffene, Umweltschützer und Bürgerrechtler 2009 auf Massendemonstrationen zum Jahrestag enthüllt. Denn noch immer ist das Gelände der havarierten Anlage stark mit toxischen Substanzen belastet. Die stammen aber längst nicht nur von dem Unglück selber, sondern auch aus der Zeit danach.
Chemieabfälle en masse
„Nach der Werksschließung hat das Management riesige Mengen von Chemieabfällen einfach vergraben lassen, die nun Boden und Grundwasser verseuchen“, erklärt T.R. Chouhan in der Fernsehsendung „Nano“. Und er muss es wissen, denn Chouhan ist nicht Irgendwer, sondern Ingenieur und arbeitete früher für Union Carbide in Bhopal.
Eine Sanierung hat auch danach nie stattgefunden. Und dies, obwohl beispielsweise die Umweltschutzorganisation Greenpeace im November 2004 in ihrer Studie „Cleaning up Bhopal“ ein ausgefeiltes Konzept dafür vorgelegt hatte. Kostenpunkt: Gerade mal 30 Millionen Euro. Vergleichsweise ein Klacks, wenn man das ganze Ausmaß der Bhopal-Katastrophe betrachtet.
470 Millionen US-Dollar Strafe
Doch für den Chemie-Konzern ist der Fall längst erledigt. Denn im Jahr 1989 gab es einen Vergleich, nach dem Union Carbide 470 Millionen US-Dollar an Strafe und Entschädigungsleistungen an Indien zahlen musste. Geld, das zu einem großen Teil offenbar niemals bei den Betroffenen beziehungsweise den Familien der Opfer angekommen ist. Und für die Dekontamination wurde es auch nicht verwendet.
„Die indische Regierung ließ sich billig auszahlen, weil sie negative Auswirkungen auf ausländische Investitionen im Land befürchtete. Und weil auch sonst nichts geschah, wirkt die Zeit heute wie stehen geblieben rund um die berüchtigtste Giftfabrik der Welt. Zwar sind ihre Gebäude zerfallen, auf dem Gelände wuchert das Unkraut. Im Müll spielen Kinder. Aber ringsherum leben die Opfer genauso wie in den ersten Jahren nach der Katastrophe. Fast alle sind krank, inzwischen auch die Kinder und Kindeskinder. Fast alle husten. Alle sind bettelarm. Kaum einer bekommt Hilfe. Kaum einer hat Arbeit“, schildert Georg Blume in der „Zeit“ vom August 2010 die Situation vor Ort.
Juristisches Desaster
Juristische Konsequenzen für die frühere Geschäftsleitung von Union Carbide blieben ebenfalls aus. So wird der langjährige Vorsitzende des Konzerns, Warren J. Anderson, zwar seit damals mit internationalem Haftbefehl gesucht, er lebt aber bis heute nahezu unbehelligt in den USA. Grund: Die dortige Regierung hat alle Auslieferungsgesuche Indiens samt und sonders abgelehnt.
Einige leitende indische Mitarbeiter des Werks in Bhopal stehen dagegen bereits seit 1987 vor Gericht. Im Juni 2010 dann die ersten Urteile: Zwei Jahre Haft auf Bewährung und ein paar tausend Euro Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung…
Dieter Lohmann
Stand: 12.11.2010