Institutsdirektor Markus Antonietti zerreibt einen winzigen Kohlekrümel auf seiner Handfläche und schnuppert genüsslich daran: „Hmm, ich mag diesen Geruch!“ Ein neu entwickeltes Herrenparfüm? Nein, viel mehr: vielleicht der Anfang einer neuen Ära in der Energiewirtschaft. Kohlenstoff steht bei Antoniettis Vision im Mittelpunkt – genauso wie er das auch schon in unserer realen Welt tut: Die fossilen Energieträger, die wir Jahr für Jahr im Milliarden-Tonnen- Maßstab aus dem Boden holen, halten die Wirtschaft am Laufen, sind Basis der Energieerzeugung und Rohstoff für die Chemie.
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Der Haken bei der Sache: Praktisch bei allen Verwertungsarten entsteht letztlich Kohlendioxid (CO2). 80 Gewichtsprozent des gesamten industriellen Ausstoßes der Welt bestehen daraus. Und das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass wir unsere fossilen Lagerstätten mit atemberaubender Geschwindigkeit in Gas verwandeln und in die Atmosphäre jagen. Nur etwa ein Drittel davon kann die Biosphäre weltweit wieder binden. Die Folgen sind inzwischen bekannt: Treibhauseffekt, Erderwärmung, Klimaveränderung.
Kohle ohne Umweg
Markus Antonietti will dem ein Ende machen, und er schlägt die Natur mit ihren eigenen Mitteln: Er hat ein extrem einfaches Verfahren erfunden, das den industriellen Kohlenstoffkreislauf revolutionieren könnte, denn es nutzt die gewaltigen Biomassevorräte der Welt, um daraus Kohle, Humus oder Öl zu produzieren – ohne Umwege und komplizierte Verfahrensschritte, wie sie in der heutigen Biomasseverwertung üblich sind. Und gleichzeitig wird bei diesem Prozess auch noch Energie frei.
Der Potsdamer Chemiker arbeitet mit purem Abfall: mit Stroh, Holz, nassem Gras, feuchten Blättern. Alles, was heute die Landschaft verschmutzt, was der Bauer unterpflügt, um es loszuwerden, und der Hobbygärtner auf den Komposthaufen oder in die Biotonne wirft, wird in Antoniettis Szenario zum wertvollen Rohstoff.
Zucker als Grundbausteine
Auf dem Umweg über die Kohle kann man daraus Benzin, Diesel oder chemische Grundstoffe gewinnen, man kann ihn in Mutterboden verwandeln und sogar in Brennstoffzellen direkt zur Stromgewinnung nutzen. Zusätzliches Kohlendioxid entsteht dabei nicht, ja, es wird sogar in großen Mengen aus der Atmosphäre herausgeholt und gebunden.
Eine Utopie? Spitzfindigkeiten eines akademischen Spinners? Nein. Der Chemiker Markus Antonietti geht die Sache von der Basis her an. So hat er sich zunächst einmal die Energielandschaft verschiedener Kohlenstoffverbindungen angesehen: „Biomasse besteht letztlich aus Zuckerbausteinen, die sehr viel Energie enthalten. Wenn man sie in einem chemischen Prozess in Kohlenstoff und Wasser zerlegt, muss man keine Energie hineinstecken, sondern es wird dabei sogar noch welche frei.“
Stand: 14.07.2006