Die Sonne liegt im Orion-Seitenarm, einem eher ruhigen, dünner besiedelten „Vorort“ unserer Galaxie. Von uns aus gesehen liegt das Zentrum der Milchstraße rund 25.000 Lichtjahre entfernt. Wie es dort aussieht und was sich dort befindet, blieb jedoch lange Zeit buchstäblich im Dunkeln, denn dichte Staubwolken verdecken optischen Teleskopen teilweise die Sicht. Erst durch Beobachtungen mit Infrarot- und Radioteleskopen und auch durch Röntgensatelliten konnten Astronomen die verhüllenden Staubschleier durchdringen.
Inzwischen ist klar, dass sich im Zentrum der Milchstraße wie bei allen anderen Galaxien ein supermassereiches Schwarzes Loch von gut vier Millionen Sonnenmassen verbirgt. Die Schwerkraftwirkung von Sagittarius A* prägt das Verhalten der Milchstraße, aber insbesondere auch die der Sterne in seiner unmittelbaren Umgebung – sie rasen in enormen Geschwindigkeiten um das Schwarze Loch. Doch das Milchstraßenzentrum ist auch der Ort, an dem die Sterne am dichtesten stehen: Astronomen gehen davon aus, dass es allein in den innersten 26 Lichtjahren der Galaxie rund 20 Millionen Sterne gibt.
Relikt uralter Proto-Galaxien
Die zentrale Lage und hohe Dichte der Sterne im galaktischen Zentrum werfen die Frage auf, wann diese Struktur entstanden ist – stammen diese Sterne womöglich schon aus den ersten Uranfängen unserer Milchstraße? „Die Entstehungsgeschichte unserer Heimatgalaxie zu entschlüsseln und vor allem ihre ersten Phasen, ist schon seit Jahrzehnten ein zentrales Ziel der galaktischen Archäologie“, erklären Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und seine Kollegen.
Aus Beobachtungen fremder Galaxien und aus Simulationen schließen Astronomen, dass unsere Milchstraße vor gut 13 Milliarden Jahren aus drei bis vier kleineren Protogalaxien gebildet wurde. Diese noch sehr schmächtigen und unregelmäßig geformten Galaxienvorläufer verschmolzen miteinander und bildeten so eine erste vergleichsweise kompakte Sternansammlung von nur ein paar tausend Lichtjahren Durchmesser.
Rein theoretisch könnte daher ein Teil der Sterne im Milchstraßenzentrum noch aus dieser frühen Ära stammen. Zwar hat die Milchstraße seit ihren Anfängen zahlreiche Kollisionen und Verschmelzungen durchlaufen, bei der auch ihre Sternpopulation durcheinandergemischt wurde und zahlreiche neue Sterne dazu kamen. Simulationen legen aber nahe, dass ein Teil des ursprünglichen Kerns diese Turbulenzen relativ unversehrt überlebte.
Fahndung nach galaktischen Methusalems
Doch lassen sich diesen uralten, ersten Sterne unserer Galaxie heute noch aufspüren und identifizieren? An diesem Punkt kommen Rix und seine Kollegen ins Spiel. Sie erforschen schon seit einigen Jahren die Sternenpopulationen im Milchstraßenzentrum und hatten bereits festgestellt, dass es neben jüngeren Sternen mit höherer Metallizität dort auch Sterne gibt, die eine geringere Metallizität als die Sonne aufweisen – sie müssten also deutlich älter sein als unser Heimatstern.
Um den ältesten Vertretern der zentralen Sternpopulation auf die Spur zu kommen, nutzten Rix und sein Team den im Sommer 2022 veröffentlichen dritten Datenkatalog des europäischen Gaia-Satelliten. Dieser umfasst neben Daten zur Position und Bewegung von rund 1,8 Milliarden Sternen auch Spektralanalysen für rund 220 Millionen astronomische Objekte. Zusätzlich zogen die Astronomen noch hochauflösendere Spektren hinzu, die im Rahmen des Sloan Digital Sky Survey erstellt wurden.
Hilfe von der künstlichen Intelligenz
Weil diese Datenmengen viel zu groß sind, um von Menschen in halbwegs vertretbarer Zeit analysiert und ausgewertet zu werden, holten sich die Astronomen Hilfe bei einer künstlichen Intelligenz: Sie trainierten ein neuronales Netzwerk mit einem Teil der Daten darauf, anhand der Spektren die Metallizität und damit das Alter der Sterne zu bestimmen. Dabei konzentrierte sich das Training auf Rote Riesen, weil diese Sterne besonders groß und hell sind und zudem sehr gut interpretierbare Lichtspektren erzeugen.
Für die eigentliche Analyse erhielt das auf diese Weise trainierte KI-System die Spektraldaten von rund von zwei Millionen Roten Riesen aus den inneren Regionen unserer Heimatgalaxie – einem Himmelsauschnitt von rund 30 Grad rund ums galaktische Zentrum. Würden die Ergebnisse mehr darüber verraten, wann und wo die zentralen Sterne unserer Galaxie entstanden sind?