12. Februar 2001, Washington D.C.: Vor der versammelten internationalen Presse verkünden Vertreter des internationalen Humangenomprojekts (HGP) und Craig Venter, Leiter des privaten Gentech-Unternehmens Celera die erste komplette Sequenzierung des menschlichen Erbguts. Nach mehr als zehn Jahren fieberhafter Arbeit in Instituten und Forschungslabors weltweit – zusätzlich angeheizt durch den Wettlauf zwischen dem staatlichen Projekt und dem Privatunternehmen Celera – liegt nun erstmals der genetische Code unserer Spezies als Arbeitsversion vor.
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Die 1,5 Prozent-Überraschung
Die scheinbar unendlich lange Abfolge von vier simplen Buchstaben, die die vier Basenpaare Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin symbolisieren, ergibt zwar noch lange keinen Sinn, die Worte im „Buch des Lebens“ sind noch nicht enträtselt. Aber die rund 3,2 Milliarden sequenzierten Basenpaare erweisen sich auch in ihrer Rohfassung schon als echter Sprengstoff. Denn gleich in mehreren Punkten widersprechen die Ergebnisse allen vorherigen Erwartungen:
„Am seltsamsten war die statistische Verteilung der Bestandteile des Humangenoms, die sich allmählich aus all den hektischen Sequenzierarbeiten herauskristallisierte“, schildert Frank Ryan, Autor des Buches „Virolution“ seine Eindrücke. So umfasst das menschliche Genom nur rund 20.000 bis 25.000 proteinkodierende Gene – dies entspricht gerade einmal 1,5 Prozent des gesamten Erbguts. Mehr als 50 Prozent bestehen dagegen aus auf den ersten Blick scheinbar sinnlosen Wiederholungen von Genen und Genteilen, der „Junk-DNA“.
Virale Signaturen
Doch die eigentliche Überraschung verbirgt sich in den restlichen Bestandteilen unseres Genoms. Denn die Wissenschaftler entdecken zu ihrem großen Erstaunen 600.000 Basenabfolgen im menschlichen Erbgut, die eindeutig nicht menschlichen, sondern viralen Ursprungs sind. Die Virengene verraten sich durch spezielle DNA-Abfolgen, die „long terminal repeats“, die sie an beiden Seiten flankieren. Sie erleichtern sowohl das Ausschneiden als auch das Wiedereinsetzen dieser so genannten LTR-Elemente in den DNA-Strang. Die viralen Gene und Genteile stammen ursprünglich, so viel wird schnell klar, von Retroviren, der Virengruppe, zu der auch das Koalavirus und der Aidserreger gehören.
Dass der Sprung eines Retrovirus in die Keimbahn auch in der menschlichen Stammesgeschichte mindestens einmal gelungen sein muss, hatten Forscher um Maurice Cohen von der Cancer Research Facility in Frederiksburg, Maryland, bereits 1984 entdeckt. Auf dem menschlichen Chromosom 7 fanden sie damals eine DNA-Sequenz, die den drei bekannten Retrovirengenen gag, pol und env bis aufs I-Tüpfelchen glich. Zudem wurde sie noch von den charakteristischen LTR-Elementen flankiert. Die Forscher tauften ihren Fund ERV3 – endogenes Retrovirus 3.
Nadja Podbregar
Stand: 05.11.2010