So faszinierend und lebensverändernd Nahtod-Erlebnisse sein können, so umstritten sind sie auch. Für einige Menschen sind diese Erfahrungen der Beweis dafür, dass wir eine Seele besitzen – und dass diese sich im Moment des Todes vom Körper löst. Andere dagegen sehen in diesen Eindrücken und Empfindungen nicht viel mehr als eine Halluzination – ein vom Gehirn selbst hervorgerufenes Erleben.
„Als wenn der Himmel auf die Erde herabgekommen wäre“
Tatsächlich erinnern einige Aspekte der Nahtod-Erfahrungen an Halluzinationen, wie sie beispielsweise bei epileptischen Anfällen oder der Einnahme halluzinogener Drogen auftreten. So erlebte der unter Epilepsie leidende russische Dichter Fjodor Dostojewski bei seinen Anfällen häufig ein intensives Gefühl des Glücks und der Harmonie – wie es auch Nahtod-Erfahrungen oft mit sich bringen. „Ich fühlte mich, als wenn der Himmel auf die Erde herabgekommen wäre und mich einhüllte“, schrieb er.
Andere Komponenten der Nahtod-Erfahrungen können bei epileptischen Anfällen ebenfalls auftreten – vom hellen Licht über das Gefühl des Schwebens und der Depersonalisierung bis hin zu Zwiegesprächen mit geisterhaften Wesen. In einer Studie berichteten zudem 17 von 180 Epilepsiepatienten, bei Anfällen Flashbacks und Zeitraffer-Rückblicke auf ihr Leben erlebt zu haben.
Auch bei Sauerstoffmangel und Narkose
Doch auch Sauerstoffmangel im Gehirn kann solche Erfahrungen hervorrufen. Das belegen Berichte von Jet-PiIoten, die bei bestimmten Flugmanövern wegen der starken G-Kräfte kurzzeitige Bewusstseinstrübungen durchlebten. Einige sahen sich dabei außerhalb ihres Körpers oder sogar außerhalb des Cockpits schweben, andere sahen das klassischen Licht am Ende des Tunnels oder fühlten eine starke Euphorie.
Der Neurologe Olaf Blanke von der Polytechnischen Hochschule Lausanne berichtet zudem von einigen Fällen, bei denen narkotisierte Patienten bei Operationen außerkörperliche Erfahrungen machten. Einer davon war ein zwölfjähriger Junge. „Ich fühlte mich plötzlich wach und hatte den Eindruck, dass ich meinen Körper verließ. Ich konnte von oben sehen, wie mein Körper auf dem OP-Tisch lag, umgeben von vielen Ärzten“, schilderte das Kind nach dem Aufwachen. „Ich fühlte mich wie ein Geist. (…) Dann sah ich einen dunklen Tunnel vor mir. (…) und an seinem Ende sah ich ein helles Licht.“
Blanke und sein Team führen diese Narkose-Erlebnisse auf Anästhesiemittel wie Propofol zurück, die in manchen Fällen krampfähnliche Aktivität in einigen Gehirnregionen auslösen können.
Das Hirnareal bestimmt die Art der Erfahrung
Einige dieser Erfahrungen lassen sich inzwischen sogar bestimmten Hirnarealen zuordnen. Wird beispielsweise der für Erinnerungen zuständige Hippocampus mit Elektroden gereizt, kann dies den typischen „Lebensrückblick“, aber auch starke Gefühle hervorrufen, wie Blanke und seine Kollegen berichten. „Eine Reizung des rechten Schläfenlappens kann außerkörperliche Erfahrungen auslösen, die des linken Schläfenlappens dagegen das Gefühl einer Präsenz oder des Treffens mit Geistwesen.“
Sollten demnach Nahtod-Erlebnisse nichts weiter sein als eine letzte Halluzination – quasi ein letztes Aufbäumen des sterbenden Gehirns? Auf den ersten Blick liegt dies nahe.
Doch es gibt Fälle, die nicht so einfach zu erklären sind…