Im gleichen Jahr, in dem das Berliner Aquarium eröffnet wird, erscheint der sechste und letzte Band des „Illustrierten Thierlebens“. Brehm ist zu dieser Zeit gerade 34 Jahre alt. Die ersten Bände des Werkes, das ihn weltberühmt machen soll, wurden bereits 1863 als kleine, für jedermann erschwingliche Heftchen veröffentlicht und entwickelten sich schon im Weihnachtsgeschäft desselben Jahres zu einem Bestseller.
Ein völlig neues Konzept
Doch das „Tierleben“ wird darüber hinaus zu einem Jahrzehnte währenden internationalen Erfolg. Übersetzt in alle Weltsprachen findet es als „der Brehm“ in nahezu jedem Haushalt seinen Platz. Zu verdanken ist das zum einen Brehms Idee, nicht nur die Anatomie, Systematik und Entwicklungsgeschichte der Tiere, sondern auch ihre Verhaltensweisen und Lebensbedingungen darzustellen – ein Novum in der zoologischen Literatur, dessen Erfolgsrezept sich bereits bei Brehms Vogelbuch erwiesen hatte.
Zum anderen liegt die Beliebtheit des „Brehm“ an den reichen Illustrationen, die ebenso ungewöhnlich sind. In der ersten Auflage des „Tierlebens“ gibt es auf 5.500 Seiten bereits 1.500 Bildtafeln, die jedoch keine anatomischen Details wiedergeben, sondern die beschreibenden Texte ergänzen und dem Leser so eine wirkliche Vorstellung vom Leben der Wüstenfüchse im Sinai, den Rentieren in der Tundra oder Webervögeln im afrikanischen Urwald ermöglichen. Brehm hat dafür den Tiermaler Robert Kretschmer gewinnen können, den er auf einer Reise nach Abessinien kennen gelernt hatte.
Kretschmers Stil prägt eine ganze Generation von populärer zoologischer Literatur. Zu den Illustrationen der zweiten Auflage, die von Gustav Mützel und Eduard Oscar Schmidt gemalt werden und Kretschmers Stil perfektionieren, meint Charles Darwin, sie seien die besten, die er je in einem Werk gesehen hätte.
Sympathische Säugetiere
Von den sechs Bänden der Erstausgabe des Tierlebens sind zwei Bände den Säugetieren gewidmet, Band drei und vier den Vögeln, der fünfte den Kriechtieren, Lurchen und Fischen. Band sechs deckt die Wirbellosen ab. Es ist der einzige Band, den Brehm nicht selber schreibt. Er wird von dem Entomologen E. L. Taschenberg und Brehms einstigem Lehrer Oskar Schmidt verfasst.
Auch in der zweiten bereits zehnbändigen Auflage ändern sich die Prioritäten im „Brehm“ nicht. Denn obwohl von den heute nahezu zwei Millionen bekannten Tierarten zu Brehms Zeiten gerade einmal 250.000 entdeckt sind, hat das im „Tierleben“ deutliche Ungleichgewicht zugunsten der Wirbeltiere nichts mit dem Bekanntheitsgrad der Tierarten zu tun. Brehm macht keinen Hehl daraus, dass seine Sympathien den Säugetieren und Vögeln gelten und er die Wirbellosen für wenig attraktives „niederes Getier“ hält.
Stand: 01.04.2005