All dies eröffnet neue Möglichkeiten bei der Suche nach medizinischen Wirkstoffen. Kennen Forscher beispielsweise Inhibitoren (Gegenspieler) eines Proteins mit einer bestimmten Domäne, dann besteht zumindest ein begründeter Verdacht, dass sich damit – oder mit leicht veränderten Analoga – auch andere Proteine hemmen lassen, welche die gleiche oder eine sehr ähnliche Domäne enthalten.
So untersuchten die Dortmunder Max-Planck-Forscher eine bestimmte Kinase namens Her-2/Neu-Rezeptor-Tyrosinkinase; dieses Enzym wird in mehr als einem Drittel aller primären Brust-, Eierstock- und Magentumore in ungewöhnlich hohen Mengen produziert. Bisher kennen die Wissenschaftler lediglich eine einzige Gruppe von Stoffen, so genannte Nakijichinone, die natürlich vorkommen und diese Kinase hemmen. Mit dem Nakijichinon-Grundgerüst als Startpunkt synthetisierten die Forscher eine Substanzbibliothek aus etwa 80 Analoga und testeten dann, ob diese Verbindungen eine Gruppe weiterer, medizinisch ebenfalls relevanter Rezeptorkinasen hemmen, für die es noch keine geeigneten Inhibitoren gab.
Das erstaunliche Ergebnis: Obwohl keiner der natürlich vorkommenden Nakijichinone die untersuchten Enzyme beeinflusste, gab es in der vergleichsweise winzigen Bibliothek gleich mehrere Analoga mit signifikanter Aktivität. Es gelang den Wissenschaftlern sogar, eine der Kinasen, die eine wichtige Rolle bei der Blutgefäßbildung und damit bei der Krebsentstehung spielt, selektiv zu hemmen. „Hätten wir lediglich Naturstoffe getestet, hätten wir diesen neuen Inhibitortyp nicht gefunden“, sagt Herbert Waldmann. „Das heißt, man muss in der Tat Substanzbibliotheken aufbauen, auch wenn diese nicht allzu groß sein müssen.“
Während Waldmann und seine Mitarbeiter in diesem Fall aus bekannten Inhibitoren einer Kinase andere Kinasenliganden entwickelten, funktioniert die Methode auch, wenn es sich um Enzyme handelt, die unterschiedliche Reaktionen katalysieren – vorausgesetzt natürlich, sie besitzen gleiche Domänen. So nahmen die Dortmunder Forscher beispielsweise das Grundgerüst eines natürlich vorkommenden Phosphatase-Inhibitors und entwickelten daraus eine Substanzbibliothek mit etwa 250 Analoga. Darin fanden sie 10 Verbindungen, die eine Dehydrogenase oder eine Esterase hemmen. „Anhand von 3-D-Daten wussten wir, dass die Enzyme aus ähnlichen Domänen bestehen, obwohl sie unterschiedliche Reaktionen katalysieren. Insgesamt konnten wir bisher fünfmal zeigen, dass die Methode auch in solchen Fällen funktioniert“, sagt Waldmann.
Im Idealfall benötigen die Wissenschaftler also nur Informationen über die Domänenarchitektur eines Proteins, für das sie neue Liganden suchen, nicht aber über seine Funktion. Mit herkömmlichen Methoden sind diese Strukturdaten zwar alles andere als einfach zu ermitteln. „Fortschritte in der Bioinformatik sorgen aber dafür, dass wir immer mehr Proteindomänen allein aus der Aminosäuresequenz errechnen können“, sagt Herbert Waldmann.
Stand: 06.08.2004