8. Oktober 2005, CryoSat-Kontrollzentrum in Kiruna, Schweden. Vor wenigen Minuten ist eine Rockot-Trägerrakete vom russischen Plesetsk Kosmodrom, 800 Kilometer nördlich von Moskau, gestartet. An Bord: der Satellit CryoSat der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, der aus der Erdumlaufbahn erstmals genaue Daten zur Eisdicke der polaren Eisflächen an Land und im Meer liefern soll. Die Rakete hebt plangemäß ab und nimmt zunächst Kurs auf den Orbit über dem Nordpol. Rund 90 Minuten lang heißt es nun warten für die Wissenschaftler und Techniker der ESA in den Bodenstationen im belgischen Redu in Villafranca in Spanien und in Kiruna in Schweden. Denn Trägerrakete und Satellit fliegen nun einmal um die Erde herum und sind dabei im Funkschatten des Planeten.
Banges Warten in Kiruna
Die 90 Minuten sind vorbei. Jetzt müsste sich der Satellit melden, bevor er sich dann knapp fünf Minuten später, von der dritten Brennstufe der Rakete trennt. Gespannt richten sich alle Blicke auf die Monitore und Anzeigen. Doch nichts geschieht. CryoSat meldet sich nicht. Die Techniker versuchen nun, gezielt die Himmelsregionen mit ihren Empfängern anzupeilen, in der der Satellit erscheinen müsste – umsonst. Ist vielleicht nur die Kommunikation gestört? Jetzt wird eine Serie von „blinden“ Telemetriebefehlen an CryoSat geschickt, in der Hoffnung, damit das Telemetriesystem neu konfigurieren zu können, doch wieder keine Reaktion.
Was ist geschehen? Die Verantwortlichen für die Trägerrakete in Plesetsk sind nicht sehr hilfreich. Sie können oder wollen noch keine Auskunft darüber geben, ob die dritte Stufe der Rakete überhaupt gezündet hat. Von einem Raketenfehler, einem falschen Orbit oder aber einem Ausfall nur des Satelliten ist daher noch alles möglich. Während die ESA-Techniker die Hoffnung nicht aufgeben und weiter nach einem Signal fahnden, sickern allmählich, drei Stunden nach dem Start, im Internet erste Gerüchte über ein Problem mit der Trägerrakete durch.
Ein Feuerball über dem Nordpol
Wenig später ist auch von den Russen die offizielle Bestätigung da: Die dritte Brennstufe mitsamt des Satelliten ist über dem Nordpol explodiert und verglüht. Die Ursache waren sich widersprechende Anweisungen des Bordsystems, die dazu führten, dass sich die zweite Brennstufe nicht abtrennte und wenig später alle Bordsysteme eine Notabschaltung durchführten. Als Folge schoss die Sonde mit viel zu hoher Geschwindigkeit erst in 200 Kilometer Höhe um dann wieder herunterzufallen. Der ungeplante Wiedereintritt ließ die Treibstofftanks reißen und explodieren.
In Kiruna und den anderen CryoSat-Stationen ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt: Jahre der Arbeit waren umsonst, das viele Geld buchstäblich verglüht. Aber die Wissenschaftler wollen nicht aufgeben, schließlich ist die Mission einer genauen Erfassung der Eiskappen und –flächen der Erde dringlicher denn je. Sie – und CryoSat – brauchen eine zweite Chance. Und sie bekommen sie. Schon im März 2006 beginnt der Bau des Ersatzsatelliten, CryoSat-2. Jetzt, fast genau vier Jahre später, ist der Nachfolgesatellit fertig und reif für seinen Start ins All.
Nadja Podbregar
Stand: 07.04.2010