Ein seltenes Beispiel für ein Modellnetzwerk der Zusammenhänge von Genetik und Funktion bietet die Chemotaxis des Darmbakteriums Escherichia coli. „Chemotaxis“ ist die Fähigkeit von Organismen, chemischen Gradienten in der Umgebung zu folgen, um Nahrungsquellen zu finden oder Schadstoffen auszuweichen. Alle Proteine und viele ihrer Wechselwirkungen in den Signalübertragungswegen dieses Verhaltens sind bei E. coli bereits quantitativ untersucht.
Übersichtliches Suchverhalten
Die Chemotaxis der Bakterien funktioniert als Suchverhalten: Anfänglich wählt das Bakterium seine Schwimmrichtung zufällig und vergleicht anschließend kontinuierlich die Bedingungen entlang seines Weges. Verbessert sich die Umgebung, etwa wenn das Bakterium chemischen Reizen folgt, die von einer Nahrungsquelle ausgehen, setzt es seinen Lauf entlang dieses Gradienten fort.
Die chemischen Reize werden von fünf unterschiedlichen Rezeptorproteinen auf der Oberfläche des Bakteriums detektiert, von einer Handvoll Proteine im Innern des Bakteriums bearbeitet und an die Geißelmotoren, den Bewegungsapparat des Bakteriums, weitergeleitet. Damit ist das Chemotaxis-System von Escherichia coli ein vergleichsweise übersichtliches Netzwerk, das aus diesem Grund schon lange als einfaches Verhaltensmodell dient.
In den letzten Jahren wurden, auch durch die Arbeiten, die quantitativen Studien des Netzwerks auf die Signalprozessierung in lebendigen Zellen erweitert. Heute ist das System eines der beliebtesten Modelle für die mathematische Analyse.
Eigenschaften von höheren Organismen
Das quantitative Studium der Chemotaxis hat gezeigt, dass dieses einfache Netzwerk viele Eigenschaften besitzt, die normalerweise nur bei höheren Organismen erwartet werden: Das System kann die Signale verstärken und integrieren, es kann sich an die Reizstärke anpassen, und es funktioniert ähnlich gut bei unterschiedlichsten Bedingungen.
Aufgrund der relativ geringen Komplexität des Chemotaxis-Netzwerkes können die Heidelberger Wissenschaftler diese Eigenschaften und deren Wechselspiel genau analysieren. Sie hoffen, dabei die Grundregeln des evolutionären „Designs“ kennen zu lernen. Das könnte künftig helfen, die wesentlich komplexeren Netzwerke in den Zellen höherer Organismen zu verstehen.
Stand: 15.02.2008