Mithilfe aller dieser Indizien haben die Geoforscher inzwischen eine Theorie entwickelt, wie sich das heute tektonisch vereinte Europa im Laufe der Jahrmillionen geformt haben könnte:
Vor mehr als 500 Millionen Jahren lagen Avalonia und die armorikanischen Inseln noch am Nordrand des Riesenkontinents Gondwana.
Dann, vor rund 490 Millionen Jahren, lösten sich zunächst Avalonia, später auch die armorikanischen Inseln vom Mutterland und drifteten nacheinander nach Norden.
Avalonia kam vor rund 440 Millionen Jahren als erstes im Norden an und „dockte“ an Baltica an. Kurze Zeit später näherte sich diesen beiden von Nordwesten her Laurentia, dabei wurde der Iapetus-Ozean geschlossen.
Bei der Kollision mit Avalonia/Baltica vor 380 Millionen Jahren faltete sich das kaledonische Gebirge des schottischen Hochlandes und Norwegens auf. Zur gleichen Zeit war auch die armorikanische Inselgruppe schon an den Nordkontinent herangerückt; viele Eklogite in Mitteleuropa wurden zu dieser Zeit durch Subduktion der trennenden Meeresarme gebildet. Wenig später, vor ca. 340 Millionen Jahren, ist auch Gondwana nachgerückt und hat sich mit den nördlichen Platten zum Superkontinent Pangäa vereinigt.
Die Phase der Subduktion/Kollision zwischen 400 und 300 Millionen Jahren vor heute hat das Fundament der europäischen Kruste entscheidend geprägt. Sie wird in Europa als „variskische“ Gebirgsbildung bezeichnet, benannt nach einem legendären germanischen Volksstamm. Angeblich hieß die Stadt Hof in Bayern einmal „curia variscorum“, die Hauptstadt der Varisker.
Eine ähnliche Situation existiert heute im Indischen Ozean: Dort hat sich eine Reihe von Mikroplatten vom afrikanischen Mutterland abgespalten, ähnlich wie vor 500 Millionen Jahren Avalonia und die armorikanischen Inseln. Ihre modernen Äquivalente sind Indien, das Seychellen-Plateau und Madagaskar. Indien ist – wie damals Avalonia – vorausgeeilt, und bereits mit Asien kollidiert. Wenn die anderen Mikroplatten und das afrikanische Mutterland eines fernen Tages nachkommen, wird es eine „äthiopische Orogenese“ geben…
Stand: 13.04.2002