Durch den Atlantik zieht sich ein gigantischer Strom von Wassermassen – ein ozeanisches Förderband. Dieses von der Karibik bis ins Nordpolarmeer reichende Strömungssystem transportiert gewaltige Mengen warmen Wassers aus dem tropischen Atlantik in unsere Breiten und weiter in den hohen Norden: „Der Nordatlantikstrom bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, etwa das Hundertfache des Amazonas“, erklärt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Die Fernheizung Europas
Damit bewegt dieses „Förderband des Meeres“ aber nicht nur enorme Wassermassen – es bringt auch Wärme von den Tropen in den polaren Breiten. Schätzungen zufolge transportiert der Nordatlantikstrom rund 10<sup>15</sup> Watt Energie nordostwärts – eine Menge, die der Produktion von mehr als einer Million Kraftwerken entspricht. Damit ist diese Meeresströmung ein wichtiger Player im irdischen Klimasystem, denn sie trägt gemeinsam mit ähnlichen Strömungen im Pazifik zum globalen Temperaturausgleich bei.
Ohne den wärmenden Einfluss des Nordatlantikstroms wäre das Klima in Mittel- und Nordeuropa deutlich kühler. So liegen die mittleren Wintertemperaturen im nordnorwegischen Bodø dank der ozeanischen „Fernwärme“ bei relativ gemäßigten minus zwei Grad – obwohl der Ort auf rund 67 Grad nördlicher Breite und damit knapp oberhalb des Polarkreises liegt. Gäbe es jedoch den Nordatlantikstrom nicht, wären die Winter in Bodø ähnlich frostig wie in Nome an der Westküste Alaskas. Dort liegen die Durchschnitttemperaturen im Winterhalb bei minus 15 Grad.
Aber auch die gemäßigten Breiten Europas verdanken dem Nordatlantikstrom viel: Ohne ihn wären weite Gebiete unseres Kontinents weniger regenreich, fruchtbar und mild klimatisiert. Vor allem Großbritannien und Irland profitieren von dieser Fernwärme: Der Warmwassereinstrom bringt zwar viel Regen und Nebel, dafür können selbst südliche Gewächse und sogar Palmen an ihren Westküsten wachsen und den Winter überstehen.
Was treibt die Strömung an?
Doch was treibt dieses gigantische Strömungssystem an? Einen ersten Hinweis darauf entdeckte vor gut 270 Jahren der irische Sklavenhändler, Forscher und Politiker Henry Ellis: Bei seinen Schiffspassagen über den Atlantik fiel ihm auf, dass das Tiefenwasser an einigen Stellen deutlich kälter war als an anderen und an der Oberfläche. Wenige Jahrzehnte später griff dies der Forscher und Erfinder Sir Benjamin Thompson auf. Er postulierte, dass das kalte Tiefenwasser des Atlantiks durch eine Meeresströmung aus den polaren Regionen in die tropischen und subtropischen Meeresgebiete gelangen müsse.
Erst 1987 setzte der US-Geochemiker Wallace Broecker die Puzzleteile zu einer umfassenden Theorie zusammen: Er erkannte, dass die warme, nordwärts laufende Oberflächenströmung und die kalte, nach Süden ziehende Tiefenströmung miteinander verbunden sein müssen – und dass nicht der Wind, sondern Temperatur- und Salzgehaltsunterschiede die Wasserbewegungen dieser thermohalinen Zirkulation antreiben.
Möglich wird dies durch den Einfluss dieser beiden Faktoren auf die Dichte des Wassers: Je wärmer und „süßer“ Wasser ist, desto geringer ist seine Dichte. Deshalb steigt dieses Wasser auf und sammelt sich an der Oberfläche des Meeres. Kühlt das Wasser dagegen wieder ab oder wird salziger, nimmt seine Dichte wieder zu, es sinkt in die Tiefe ab. Das Entscheidende jedoch: Dieses Absinken großer Wassermassen erzeugt einen Sog, der Oberflächenwasser in diese Regionen nachzieht – eine Umwälzpumpe kommt in Gang.
Zwei große Umwälzpumpen
Im Atlantik werden die großräumigen Strömungen durch zwei solcher Umwälzpumpen angetrieben. Die erste liegt in den kalten Gewässern der Antarktis und sorgt für die Umwälzströmungen im südlichen Teil des Atlantiks. „Wenn das Meer Lungen hätte, wäre dies eine davon“, erklärt Matthew England von der University of New South Wales. „Jedes Jahr sinken rund um die Antarktis rund 250 Billionen Tonnen kaltes, salziges und sauerstoffreiches Wasser in die Tiefe.“ Dieses von der Südlichen Umwälzströmung (SMOC) erzeugte Tiefenwasser strömt nordwärts und kühlt und belüftet die tiefsten Zonen des Atlantiks.
Der zweite, für uns in Europa entscheidende Strömungsmotor liegt im Nordpolarmeer vor den Küsten Grönlands und Labradors. Dort sinken in der Atlantischen Meridionalen Umwälzströmung (AMOC) ebenfalls gewaltige Wassermassen in die Tiefe – wie ein enormer Wasserfall innerhalb des Meeres. Möglich wird dies, weil das von Süden heranströmende Oberflächenwasser in dieser arktischen Region abkühlt und damit dichter wird.
Gleichzeitig wird das durch erhöhte Verdunstung ohnehin schon salzige Wasser noch salziger. Denn die Bildung von Meereis setzt Salz frei, weil primär der „süße“ Anteil des Meerwassers ausfriert. Abkühlung und erhöhte Salinität zusammen machen das Wasser schwer und lassen es absinken. Dieser ozeanische Wasserfall hoch oben im Nordatlantik erzeugt dadurch einen Sog, der immer mehr wärmeres Oberflächenwasseraus dem Süden heranzieht – der Nordatlantikstrom kommt in Gang.