„Dynamische Kräfte“
Der homöopathischen Theorie zufolge ist es aber ohnehin eine „immaterielle Arzneikraft“, die auch und gerade in scheinbar substanzfreien Verdünnungsstufen wirkt. Die „Energie“ oder „Natur“ der Ausgangssubstanz soll beim korrekten Potenzieren auf das Verdünnungsmittel übergehen. So sollen beispielsweise die Wassermoleküle eine Art „Gedächtnis“ für die in ihnen einst präsenten Substanzen behalten. Hahnemann erklärt dazu in seinem „Organon der Heilkunst“, das bis heute quasi als „Bibel der Homöopathie“ gilt: „…Die mechanische Einwirkung auf ihre kleinsten Theile, durch Reiben und Schütteln […] entwickelt die latenten, vorher unmerklich, wie schlafend in ihnen verborgen gewesenen dynamischen Kräfte, welche vorzugsweise auf das Lebensprinzip, auf das Befinden des thierischen Lebens Einfluß haben.“

Anordnung der Wassermoleküle bei Wasser im flüssigen Zustand © Lawrence Berkeley Laboratory
Wie aber hat man sich diese „dynamischen Kräfte“ vorzustellen? Bekannt ist aus der physikalischen Chemie, dass sich Wassermoleküle tatsächlich um gelöste Stoffe lagern und dadurch ihre bisherige Konformation ändern. Bekannt ist aber auch, dass diese temporären Strukturänderungen nur so lange anhalten, wie die Fremdsubstanz und damit ihr formender Einfluss im Wasser bleibt. Wird sie entfernt, ordnen sich die Wasserteilchen innerhalb weniger als einer Pikosekunde – das entspricht einer Billionstel Sekunde – neu an. Angetrieben von der Brownschen Molekularbewegung sind sie bei Raumtemperatur in ständiger Bewegung.
Eine Tollkirsche im Bach…
Doch gehen wir für einen Moment einmal davon aus, es gäbe doch irgendeine Art von „Wassergedächtnis“. Laut homöopathischer Lehre soll dieses gerade bei hochpotenzierten Mitteln nahezu unbegrenzt anhalten. Praktisch betrachtet ergeben sich daraus gleich mehrere Ungereimtheiten.
Eines davon verdeutlicht der Molekularbiologe und Biochemiker Hubert Rehm 2005 an folgendem Gedankenexperiment: Angenommen, nur eine einzige Tollkirsche fiele in einen Bach, dessen Wasser in die Leipziger Trinkwasserversorgung einfließt. Dann würde das in ihr enthaltene Atropin, verteilt auf die 34 Millionen Kubikmeter Jahresverbrauch der Stadt, zu einer Atropinkonzentration im Trinkwasser von eins zu 10 hoch 17 führen. Homöopathisch ausgedrückt: Aus allen Wasserhähnen der Stadt flösse das homöopathische Präparat Belladonna D17, wirksam bei Infekten wie Grippe, Erkältungen, Entzündungen, Sonnenbrand und Krämpfen.
…und Isaac Asimovs Toilettenspülung
Noch weiter spinnt Ben Goldacre, Mediziner und Autor des Buches „Bad Science“ den Faden: „Wasser schwappt seit sehr langer Zeit auf dem Globus herum, und auch das Wasser in meinem Körper hat bereits die Körper vieler anderer Menschen passiert vor meinem. […] Woher weiß ein Wassermolekül, wann es die vielen anderen Moleküle vergessen soll, denen es zuvor begegnet ist? Woher weiß es, dass es meinen blauen Fleck mit dem Gedächtnis von Arnika heilen soll und nicht mit dem Gedächtnis des Kots von Isaac Asimov?“
Als Reaktion erhielt Goldacre zwar massenweise Beschwerden von Homöopathen ob des unappetitlichen Vergleichs, aber keine Antwort auf seine Frage. Klar ist, dass es keine Filter oder Verfahren gibt, die effektiv genug sind, um nicht selbst im reinsten destillierten Wasser noch einige Moleküle fast aller häufigeren Elemente und zahlreicher chemischer Verbindungen zu hinterlassen.
Zudem werden Potenzierungen üblicherweise weder im Hochvakuum noch in speziellen Reinräumen durchgeführt, so dass jedes Mal beim Öffnen oder Umfüllen Verunreinigungen aus Gefäßen und der Luft in die Lösung gelangen können. Auch diese Fremdstoffe werden weiter mitpotenziert und müssten sich demnach nach homöopathischer Lehrmeinung ebenfalls dem Wasser aufprägen. Als Konsequenz transportiert das fertige Präparat keineswegs nur die „dynamische Kraft“ des ursprünglichen Wirkstoffs, sondern auch die Dutzender weiterer Moleküle, deren Wirkung und Zusammensetzung nicht kontrolliert werden kann.
Keine Zulassung nötig
Einen Vorteil – Kraft hin oder her – hat das Ganze allerdings: Da sich chemisch in den meisten homöopathischen Mitteln nichts nachweisen lässt, unterliegen Präparate ab D4 aufwärts in Deutschland nicht dem Zulassungsverfahren nach dem Arzneimittelgesetz. Das heißt es müssen weder Wirksamkeits- noch Unbedenklichkeitsnachweise erbracht werden. Die meisten auf dem deutschen Markt erhältlichen Homöopathika gehören zu diesem Typ und sind daher auch rezeptfrei.
Nadja Podbregar
Stand: 26.03.2010
26. März 2010