Jeff Coleman sitzt vor einem Bildschirm und blickt auf ein wirres Muster aus Buchstaben, das kurz aufblinkt. Die Ps, Fs und Hs scheinen völlig willkürlich über den Monitor verstreut. Coleman aber sieht das anders: „Ich sehe ein Feld aus Buchstaben in verschiedenen Farben, aus dem ein rotes Dreieck hervorspringt. Ich sehe es einfach.“ Denn für den Synästheten leuchtet das „H“ rot, die Ps und Fs dagegen eher grün oder blau. Das von den Hs gebildete Muster kann Coleman daher gar nicht übersehen, egal wie kurz er hinschaut. Seine nicht-synästhetischen Mitprobanden allerdings tippen in der Hälfte der Fälle daneben. Ihnen reicht die Zeit einfach nicht aus, um das Muster der für sie einfarbig schwarzen Buchstaben zu entwirren.
„Dieser Test war der erste klare Beweis, dass Synästhesie ein authentischer Wahrnehmungsprozess ist und dass sie vermutlich irgendwo in den sensorischen Signalwegen des Gehirns erzeugt wird“, erklärt Vilayanur S. Ramachandran, Professor für Neurowissenschaften an der Universität von Kalifornien in Berkeley und einer der bekanntesten Forscher im Bereich neuropsychologischer Phänomene. Er führt als einer der Ersten diesen und andere Tests Ende der 1990er Jahre an Coleman und weiteren Probanden durch und liefert damit wertvolle Einblicke in die neuronalen Grundlagen der Synästhesie.
Ein wandernder Buchstabe wird schwarz
In einem weiteren Versuch muss Coleman ein Kreuz auf einem Bildschirm fixieren, während an unterschiedlichen Positionen in seinem Gesichtsfeld ein Buchstabe kurz erscheint, wieder ausgeblendet wird und dann an anderer Stelle erneut erscheint. Das Seltsame daran: Solange der Buchstabe im zentralen Sehfeld und um weniger als elf Grad nach außen versetzt steht, sieht Coleman ihn wie gewohnt farbig. Wandert er jedoch weiter nach außen, verliert er plötzlich seine Farbe und wird ganz normal schwarzweiß.
Warum aber verliert der Buchstabe dort plötzlich seine Fähigkeit, eine synästhetische Farbwahrnehmung auszulösen? Normale Farben werden in diesem Winkel doch problemlos noch erkannt.Für Ramachandran ist diese Frage ein wertvolles Indiz. Denn er weiß, dass direkt neben dem Gehirnareal, das für die Verarbeitung von visuell wahrgenommenen Zeichen zuständig ist, ein weiteres Areal liegt, V4. Dieses in der gleichen Furche angesiedelte Gebiet verarbeitet Farbreize, aber trägt auch zum Sehen im zentralen Gesichtsfeld bei. Die Hypothese des Neurologen: Bei Synästheten muss es zwischen diesen beiden angrenzenden Gehirnbereichen eine Verbindung geben, die normalerweise nicht existiert.
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Gehirnaktivität, wo sie nicht hingehört
Auf die gleiche Spur kommt 2004 auch eine britische Forschergruppe um Colin Blakemore von der Universität Oxford. Sie untersucht die Gehirnaktivität eines synästhetischen Probanden mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI). „Wenn man sich die Anatomie des Gehirns anschaut, wie es organisiert ist und wo die offensichtlichen Nervenstränge hinführen, dann sieht es so aus, als wenn die Sinne komplett voneinander getrennt sind: Die Augen sind verbunden mit speziellen Teilen des Gehirns, die Ohren mit anderen und so weiter“, erklärt der Neurobiologe. Misst man die Gehirnaktivität beim Hören eines Wortes oder Lauts, reagieren wie erwartet die für die akustische Reizverarbeitung zuständigen Bereiche.
Anders aber bei dem Synästheten John Fullwood: „Wenn John Worte wie Montag oder Januar hört, sieht er eine spezifische Farbe und man sieht ein Gehirnareal, das aufleuchtet, wenn er die Farbe sieht“, erklärt Blakemore. Der Gehirnbereich ist V4, was Ramachandrans Hypothese bestätigt. „Das muss bedeuten, dass bestimmte Gruppen von Nervenzellen irgendwie funktionell miteinander verbunden worden sind“, so Blakemore. „Wenn eine Gruppe von Nervenzellen feuert, dann feuert ein anderer Haufen irgendwo anders, vielleicht weit entfernt im Gehirn, spezifisch mit und man bekommt diese Konjunktionen von Wahrnehmungen.“
Aber was bewirkt diese geheimnisvollen Verbindungen von Gehirnarealen?
Nadja Podbregar
Stand: 06.05.2011