Anfang 1925 herrscht in der Welt der Physik ein Durcheinander von alten klassischen Lehrsätzen, ersten quantenphysikalischen Erweiterungen und vielen ungeklärten Fragen. Es fehlt eine übergeordnete Theorie, die die Welt der Quanten und ihr exotisches Verhalten schlüssig erklärt.
Oder, wie es der deutsche Physiker Max Born schon 1923 formuliert: „Das gesamte System der physikalischen Konzepte muss von Grund auf neu aufgebaut werden.“ Aber wie? Noch im gleichen Jahr liefern zwei Physiker darauf eine Antwort – allerdings scheinen diese Antworten auf den ersten Blick völlig unterschiedlich.
Den Anfang macht der deutsche Physiker Werner Heisenberg. Der 24-Jährige hat gerade seine Doktorarbeit abgeschlossen und ist als Assistent an die Universität Göttingen gewechselt – einem weltweit führenden Zentrum der aufkommenden Quantenphysik. Hier trifft Heisenberg auf Max Born, Wolfgang Pauli, Paul Dirac, aber auch Enrico Fermi und Robert Oppenheimer, der zu dieser Zeit gerade seine Doktorarbeit in Göttingen begonnen hat.
Die „jungen Wilden“ der Göttinger Physik versuchen, Ordnung in das Chaos der Quantenwelt zu bringen. Im Frühsommer muss Heisenberg jedoch flüchten: Sein Heuschnupfen wird so stark, dass er Zuflucht auf einer maximal entlegenen deutschen Insel sucht: auf Helgoland. Doch auch dort lässt ihm das Quantenproblem keine Ruhe. Er überlegt, wie man das Verhalten der Atome und Elektronen beschreiben könnte, ohne die etablierten Begriffe der klassischen Physik wie Geschwindigkeit oder Bahn zu verwenden.
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„Denn es lässt sich der schwerwiegende Einwand erheben, dass jene Rechenregeln als wesentlichen Bestandteil Beziehungen zwischen Größen enthalten, die scheinbar prinzipiell nicht beobachtet werden können, wie zum Beispiel den Ort oder die Umlaufzeit des Elektrons“, schreibt Heisenberg. Er sucht daher nach mathematisch-physikalischen Gleichungen, die nur tatsächlich messbare Größen enthalten und die die „Mechanik“ der Quantenwelt widerspiegeln.
Heisenbergs Matrizenmechanik
Heisenberg findet tatsächlich eine Lösung. Noch auf Helgoland entwickelt er eine „quantenmechanische Umdeutung“, die erstmals eine in sich schlüssige mathematische Beschreibung des Quantenverhaltens ermöglicht. Dies gelingt, weil der Physiker in seinen Formeln alle unter einer bestimmten Bedingung möglichen Werte für Ort, Impuls und Energie eines Teilchens in Form mathematischer Matrizen repräsentiert. Mit diesen Gleichungen war es beispielsweise möglich, die Wahrscheinlichkeit der Elektronensprünge im Atom von einem
Energie-Niveau zum anderen zu berechnen.
Ende Juli 1925 veröffentlicht Heisenberg einen ersten Fachartikel zu seiner „Matrizenmechanik“, bis November 1925 folgen zwei weitere, in denen er seine Quantenmechanik gemeinsam mit seine Göttinger Kollegen Max Born und Pascual Jordan weiterentwickelt. Zum ersten Mal gibt es damit eine Theorie, die die Quantenwelt ohne Stückwerk aus der klassischen Physik beschreibbar macht.
Allerdings ist Heisenbergs Matrizenmechanik alles andere als leicht verständlich oder einfach anwendbar. Der US-Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg schreibt einzige Jahrzehnte später: „Ich habe den Aufsatz mehrmals zu lesen versucht, und obwohl ich die Quantenmechanik zu verstehen glaube, habe ich nie verstanden, wie Heisenberg die mathematischen Schritte in seinem Aufsatz begründete.“
Schrödinger, eine Berghütte und die Wellenmechanik
An diesem Punkt kommt der österreichische Physiker Erwin Schrödinger ins Spiel – und auch er findet seine bahnbrechende Antwort auf das Quantenproblem nicht am Arbeitsplatz: Er entwickelt seine Gleichungen in einer Berghütte in den Schweizer Alpen. Anders als Heisenberg geht Schrödinger dabei von der 1924 durch Louis de Broglie gemachten Erkenntnis aus, dass sich auch Materieteilchen wie eine Welle verhalten. Die Bewegungen und Positionen der Elektronen um den Atomkern können daher als stehende Wellen betrachtet werden.
Für Schrödinger folgt daraus, dass das Verhalten der Elektronen mit einer Wellenfunktion beschreibbar sein muss. „Das Elektron ist nicht länger eine Art kleine Kugel, die sich durch das Universum bewegt. Stattdessen gibt die Wellenfunktion die Wahrscheinlichkeit an, dass es sich gerade an einem bestimmten Ort im Universum aufhält“, erklärt der Physiker Ulrich Schollwöck von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Schrödinger sieht seine Wellenfunktion anfangs allerdings noch als Aussage über die Ladungs- und Massendichte. Erst Max Born präzisiert dies wenige Monate später als Angabe über die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Quantenteilchens.
Anfang 1926 veröffentlicht Schrödinger seine heute nach ihm benannte Gleichung. Gegenüber Heisenbergs Matrizenmechanik hat sie einen großen Vorteil: Weil Schrödingers Wellenmechanik auf einer Differentialgleichung mit partiellen Ableitungen beruht, ist sie mathematisch zugänglicher – sie nutzt altbekannte mathematische Werkzeuge.
Damit gibt es nun zwei konkurrierende Theorien, die das Verhalten der kleinsten Teilchen beschreibbar machen. Und nun?