Für viele Bewohner des Nordpolarmeeres ist die Polarnacht keineswegs eine Zeit des Darbens oder bloßen Durchhaltens – eher im Gegenteil. Die Finsternis ist für sie eine willkommene Gelegenheit, sich endlich mal richtig sattzufressen. Geschützt vor verräterischem Licht kommen selbst scheue Bewohner der Tiefe an die Oberfläche.
Für Geir Johnsen und seine Kollegen vom Marine Night Projekt bedeutet dies eine einmalige Chance, Tiere zu entdecken, die sie im Polarsommer niemals zu Gesicht bekommen würden. „Jedes Mal, wenn wir im Polarwinter unseren Kopf unter Wasser stecken, finden wir neue Dinge“, sagt Johnsen. So beobachteten sie bei ihrer letzten Expedition, wie Tiefseefische, die normalerweise in mehr als 2.000 Metern Tiefe vorkommen, zwischen Kelp im nur zwei Meter flachen Wasser umherschwammen und nach Beute suchten.
Wohlgenährt trotz Polarwinter
Ihre Beobachtungen in der Polarnacht haben auch geholfen, ein weiteres Rätsel arktischen Lebens zu lösen: Wie die Meeresvögel der Arktis die dunkle Zeit überleben. Denn ohne Licht müsste es für sie eigentlich schwer sein, Fische und andere Beute im dunklen Wasser zu finden. Dennoch scheinen Alke, Möwen und Eissturmvögel keinen Hunger zu leiden: „Das coole an diesen Vögeln ist, dass sie richtig fett sind“, sagt Johnsen.
Was die Seevögel im Polarwinter fressen, entdeckten die Biologen auf ihren Beobachtungstouren auf dem dunklen Polarmeer. Statt in Küstennähe zu blieben, flogen die Vögel im Dunkeln weit aufs offenen Meer hinaus. Dort tauchten sie mit Schwung ins Wasser hinab und stießen dabei bis in 30 Meter Tiefe vor. Immer wieder vollführten die Vögel diese Tauchgänge, um dann schließlich mit vollem Magen wieder an Land zurückzukehren.
Was aber fressen die gefiederten Jäger im dunklen Wasser? Des Rätsels Lösung erwies sich bei näherem Hinsehen als ganz einfach: Während der Polarnacht steigt auch der Krill näher an die Wasseroberfläche als normalerweise üblich. Die kleinen Krebschen bilden dann in 30 bis 40 Metern Tiefe eine dichte Schicht, die die „geheime“ Futterquelle dieser Vögel bildet. „Hier gibt es reichlich Nahrung für sie“, sagt Johnsen.
Leuchten in der Tiefe
Um diese Planktonschicht zu finden, müssen die Vögel wiederum wenig mehr tun als die Augen aufhalten. Denn einige Krillarten, aber auch einige arktische Ruderfußkrebschen und Dinoflagellaten, leuchten im Dunkeln. Biochemische Reaktionen in ihrem Inneren verleihen ihnen die Fähigkeit zur Biolumineszenz.
Dieses verräterische Leuchten ist zwar für unsere Augen von der Wasseroberfläche aus kaum zu sehen. Doch zumindest einige Vögel scheinen die Biolumineszenz durchaus erkennen zu können und tauchen daher zielsicher dort ins Meer, wo Krill und anderes Plankton am dichtesten sind. „Noch ist das eine Hypothese, aber ihre Augen scheinen sensibel genug zu sein, um ihre Beute auf diese Weise sehen zu können“, sagt Johnsen.
Weil verschiedenen Planktonarten zudem ganz unterschiedlich leuchten – einige pulsieren, andere nicht, einige leuchten blau, andere eher gelbgrün – könnte es sogar sein, dass die Seevögel erkennen, welche Beute sie da gerade vor sich haben.
Nadja Podbregar / Quelle: gemini.no
Stand: 03.06.2016