So eindrucksvoll Teotihuacan bis heute ist, so rätselhaft ist das Volk, das diese Metropole und Kultur begründete. Trotz der vielen Ruinen, der tausenden von Figuren, Alltagsobjekte und mit prachtvollen Wandgemälden geschmückten Mauern, wissen wir über diese Kultur noch immer weit weniger als beispielsweise über die Maya oder Inka.

Bloße Bildsymbole oder echte Hieroglyphen?
Der Grund: Uns fehlt ein entscheidender Schlüssel zu dieser geheimnisvollen Kultur – ihre Schrift. Während die zur gleichen Zeit weiter im Süden lebenden Maya unzählige Stelen und Wandreliefs mit ihren Hieroglyphen bedeckten, fehlen solche Schriftzeugnisse in Teotihuacan fast ganz. Zwar kommen in einigen Wandgemälden und Reliefs vereinzelte Symbole vor. Wegen ihrer oft figürlichen Darstellungen und der Tatsache, dass diese Zeichen meist nur einzeln auftauchen, wurden sie bisher aber oft als rein künstlerische Elemente eingestuft.
Teotihuacan galt daher lange als schriftlose Kultur. Doch in den letzten Jahren regt sich Widerspruch gegen diese Sicht. „Ich denke, dass die Teotihuacanos sehr wohl echte Hieroglyphen nutzten“, ist beispielsweise Tatiana Valdez vom Colegio de Morelos in Mexiko überzeugt. Als Indiz dafür sieht sie unter anderem einen erst kürzlich gemachten Fund am Boden eines Innenhofs: Dort sind 42 Glyphen in mehreren Reihen untereinander angeordnet. Sie stellen den längsten „Text“ dar, der je in Teotihuacan gefunden wurde. Insgesamt sind damit bisher rund 300 Glyphen aus der Stadt bekannt, zudem gibt es weitere Symbole, die sich auf Keramiken und den Stirnbändern von Tonfiguren finden.
Parallelen zur Maya-Schrift
Christophe Helmke von der Universität Kopenhagen geht ebenfalls davon aus, dass die Teotihuacanos eine echte Schrift besaßen. Da sie enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zu umliegenden Kulturen Mittelamerikas unterhielten – darunter auch den schreibkundigen Maya – liege es nahe, dass auch sie über zumindest rudimentäre schriftliche Kommunikationsmittel verfügten.