Erdgeschichte

Das Rätsel des Handtieres

Fossile Abdrücke im Urzeit-Strand

Am Ende des Perm-Zeitalters vor rund 252 Millionen Jahren herrschte ein wechselhaftes Klima mit zunehmender Trockenheit, unterbrochen von sintflutartigen Sturzregen. Diese Bedingungen haben neben Fossilien noch weitere Spuren der Urzeit konserviert – und diesmal im wortwörtlichen Sinne: Im Jahr 1999 entdeckten Forscher in einem Steinbruch bei Wolfhagen im Landkreis Kassel seltsam handähnliche Fährten. Die knapp 20 Zentimeter großen Abdrücke waren so gut erhalten, dass sogar die schuppige Hautstruktur und die Krallenansätze gut zu erkennen waren.

handähnliche Abdrücke
Diese fossilen, verblüffend handähnlichen Abdrücke wurden in einem Steinbruch bei Wolfhagen entdeckt. © Baummapper/ CC-by-sa 3.0

Mysteriöse Abdrücke

Worum aber handelte es sich? Die Spuren glichen verblüffend denen des rätselhaften „Handtieres“, dessen Spuren schon vor gut 190 Jahren Rätsel aufgegeben hatten. Damals, im Jahr 1833, hatte ein Gymnasiallehrer in Thüringen in den für seinen Garten gekauften Buntsandsteinplatten merkwürdige Abdrücke entdeckt: Die aus einem nahegelegenen Steinbruch stammenden, rund 245 Millionen Jahre alten Steine zeigten eine Fährte, die Handabdrücken ähnelte.

Der Darmstädter Zoologe Johann Jakob Kaup untersuchte daraufhin diese rätselhaften Handabdrücke und kam zu dem Schluss, dass es sich um die fossile Spur eines ausgestorbenen Tieres handeln müsse. Er taufte dieses Wesen Chirotherium barthii. Damit wurde das „Handtier“ zur weltweit ersten benannten fossilen Tierspur. „Das Thier scheint mir ein riesenmäßiges Beutelthier mit Daumen an Hinter- und Vorder-Füssen zu sein“, schrieb Kaup im Jahr 1835. Doch auch er konnte es nicht eindeutig einer urzeitlichen Tiergruppe zuordnen.

Handtier-Abdruck von 1867
Zeichnung eines „Handtier“-Abdrucks im „Quarterly journal of the Geological Society of London“ von Jahr 1867. © Biodiversity Heritage Library / historisch

Ein Archosaurier aus dem Perm-Zeitalter

Da es keine begleitenden Knochenfunde gab, mussten die Paläontologen versuchen, allein aus den Abdrücken Rückschlüsse auf Größe, Gang und Körperbau des Tieres zu ziehen. Entsprechend uneins war man sich noch bis ins 20. Jahrhundert hinein in der Interpretation der seltsamen Spuren. Einige Wissenschaftler hielten diese Fährten für die Abdrücke von Bären oder Affen, andere eher für Dinosaurierabdrücke oder die Spuren überkreuzlaufender Amphibien.

Heute wissen wir, dass die so seltsam handähnlichen Fährten von Archosauriern hinterlassen wurden, der urtümlichen Reptiliengruppe, die an der Basis sowohl der Dinosaurier als auch der heutigen Krokodile und Vögel stand. Auch die 1999 bei Wolfhagen entdeckten Abdrücke stammen von einem solchen Archosaurier. Das Protochirotherium wolfhagense – Wolfhager Urhandtier – getaufte Reptil wurde zwei bis drei Meter lang und jagte andere Wirbeltiere, fraß aber auch Aas. Die in Wolfhagen entdeckten Spuren dieses Sauriers sind die ältesten Handtier-Fährten Deutschlands und gehören zu den ältesten Zeugnissen der Chirotheriidae weltweit.

Unter Kreidezeit-Giganten

Deutlich weniger alt, aber umso imposanter sind hingegen Urzeit-Echsen, deren Fossilien in der Nähe von Brilon im Sauerland entdeckt wurden. Auch diese Gegend lag während des Perm im Gebiet des Zechsteinmeeres. Rund 100 Millionen Jahre später war es jedoch in dieser Gegend ähnlich tropisch und auch das Meer reichte weiter ins Land hinein als heute. Zu Beginn der Kreidezeit bildete das heutige Sauerland eine ausgedehnte Küstenebene mit zahlreichen Seen und Sümpfen. Die üppige Vegetation aus Farnen, Bärlappgewächsen und Nadelbäumen sowie vielen Wasserpflanzen bot zahlreichen Tieren reichlich Futter.

Iguanodons
Rekonstruktion einer Iguanodon-Herde in kastilischen Museum für Paläontologie. © PePeEfe/ CC-by-sa 4.0

Davon zeugt ein Fund, den Mineraliensammler im Jahr 1978 im Briloner im Ortsteil Nehlen machten: Vermeintliche Holzstücke aus einer alten Kalkspatgrube entpuppten sich bei näherer Untersuchung als Knochenteile eines Dinosauriers aus der Kreidezeit – und zwar gleich von einem der Giganten unter den Riesenechsen. Denn der Knochen und auch weitere in Nehlen entdeckte Skelettreste stammten von Iguanodons – den ersten dieser Großsaurier in Deutschland. Die massigen Reptilien wogen bis zu 4,5 Tonnen und wurden bis zu zehn Meter lang.

Trotz seines furchterregenden Aussehens war der „Leguanzähner“ aber nur ein harmloser Pflanzenfresser – quasi die Kuh der Kreidezeit. Die mittlerweile rund 1.400 in Brilon-Nehden geborgenen Knochen von mindestens 15 verschiedenen Iguanodon-Arten belegen, dass vor rund 125 Millionen Jahren ganze Herden dieser Pflanzenfresser durch die Landschaft des heutigen Hochsauerlands zogen. Auch andere große Dinosaurier, Krokodile und Schildkröten tummelten sich in diesem kreidezeitlichen Küstengebiet.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Zeitreise ans Zechsteinmeer
Von Tropenklima, Urzeitdackeln und dem großen Goldrausch

Zurück ans Ende des Perm
Nordhessen vor gut 255 Millionen Jahren

Die Korbacher Spalte
Begegnung mit unseren Urahnen

Das Rätsel des Handtieres
Fossile Abdrücke im Urzeit-Strand

Und heute?
Fossilien, Bergbau und verborgenes Gold

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