Anthropogeographie

Das Rätsel unserer Sprache

Woher kommt die Indoeuropäische Sprachfamilie?

Ob Deutsch, Italienisch, Griechisch oder Urdu und Sanskrit – all diese Sprachen haben eine Gemeinsamkeit: Trotz ihrer Verbindung mit ganz unterschiedlichen Kulturen gehören sie alle zur großen Sprachfamilie des Indoeuropäischen. Sie besitzen eine gemeinsame Wurzel, die bis in die Anfänge der Bronzezeit und darüber hinaus reicht.

indoeuropäische Sprachen
Heutige Verbreitung der verschiedenen Gruppen der indoeuropäischen Sprachfamilie. © Alphaton/ CC-by-sa 3.0

Gemeinsamkeiten auch mit Persisch und Sanskrit

Bei einigen indoeuropäischen Sprachen ist die gemeinsame Herkunft relativ leicht erkennbar: Vor allem das Englische, Deutsche, Niederländische und auch Skandinavische nutzen viele ähnliche Wörter. Doch auch bei den romanischen Sprachen wie dem Italienischen, Französischen oder Spanischen gibt es verwandte Begriffe – dazu gehören beispielsweise die Bezeichnungen für enge Familienangehörige wie Bruder, Schwester, Mutter und Vater, aber auch die meisten Zahlwörter und viele Personalpronomen.

Aber wie sieht es mit Urdu, Sanskrit oder dem Iranischen aus? Bei diesen im mittleren Osten und in Asien gesprochenen Sprachen finden sich auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten mit den europäischen Sprachen. Doch das täuscht. Selbst in Indien, im Iran oder in Bangladesch haben die Menschen einige Wörter genutzt, die uns bekannt vorkommen dürften: Der „Bruder “ ist im Altindischen „Bhrater“, im Altiranischen ein „Bratar“. Das „Knie“ ist im Altindischen ein „Janu“ und damit dem französichen „Genu“ auffallend ähnlich, im Altiranischen ist es ein „Zanu“.

Ist Indien die Wiege unserer Sprachen?

Diese Gemeinsamkeiten fielen schon Ende des 16. Jahrhunderts einem florentinischen Kaufmann auf, der über die Seidenstraße nach Persien und bis nach Indien reiste. Auch andere Gelehrte erkannten bald diese Parallelen und kamen zu dem Schluss, dass es eine gemeinsame Ursprache gegeben haben müsse – die indoeuropäische Ursprache. Doch wo hatte diese Ursprache ihren Ursprung? Und auf welchem Wege breitete sie sich aus?

Lange galt Indien als Wiege der indoeuropäischen Sprache, denn dort vermutete man die ältesten Wurzeln. Inzwischen jedoch haben die Genstudien der Archäologen kombiniert mit neuen Methoden der Linguistik ein neues Licht auf die Herkunft unserer Sprachen geworfen. Denn die neuen Erkenntnisse zu den Migrationswellen der Jungsteinzeit und Bronzezeit legen nahe, dass mit diesen Neuankömmlingen auch neue Sprachen nach Europa kamen.

Ursprache
Ursprungsregionen der indoeuropäischen Ursprache nach der Anatolien- und der Steppen-Hypothese. © NASA/ scinexx

Ursprung in Anatolien?

Aber mit welchen? Brachten die jungsteinzeitlichen Bauern aus Anatolien die indoeuropäische Sprache zu uns oder die später eintreffenden Steppennomaden? Die Antwort ist bisher strittig – und Studien haben widersprüchliche Ergebnisse erbracht.

Argumente für eine jungsteinzeitlich-anatolische Wurzel der indoeuropäischen Sprachen lieferte 2012 eine Studie von Quentin Atkinson von der University of Auckland. In ihr analysierten die Forscher 6.000 sogenannte Kognate aus insgesamt 103 ausgestorbenen und noch existierenden indoeuropäischen Sprachen. Kognate sind Wörter, die aus einem gemeinsamen Ursprungsbegriff entstanden sind und die es so erlauben, einen Stammbaum der Sprachen zu rekonstruieren.

Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass die indoeuropäischen Sprachen ihren gemeinsamen Ursprung vor 8.000 bis 9.000 Jahren im heutigen Anatolien haben müssen. Allerdings berücksichtigten sie für ihre Analyse ausschließlich Wörter, nicht aber Sprachstruktur, Grammatik und andere Sprachmerkmale, wie andere Linguisten kritisieren. Auch archäologische Funde bezogen Atkinson und sein Team nicht mit ein.

…oder doch in der eurasischen Steppe?

Demgegenüber stehen mehrere Studien, die eher für einen Steppen-Ursprung der indoeuropäischen Sprachen sprechen – sowohl auf linguistischer als auch auf genetischer Basis. So ergab eine ebenfalls mithilfe von Kognaten durchgeführte Rekonstruktion des Sprachstammbaums durch Linguisten um Will Chang von der University of California in Berkeley, dass die indoeuropäische Ursprache erst rund 6.000 Jahre alt ist – zu jung für eine Einführung mit den ersten Bauern.

Angesichts der neuen Erkenntnisse zu den Jamnaja und ihren Wurzeln könnte die Wiege der indoeuropäischen Sprache nach Ansicht vieler Forscher im Kaukasus und den benachbarten Steppengebieten gelegen haben. Als dann die Vorfahren der Jamnaja sich nach Westen und Osten ausbreiteten, brachten sie Varianten dieser Ursprache nach Europa, aber auch in den Mittleren Osten und nach Indien.

Allerdings: Eindeutig geklärt ist das Rätsel um unsere Ursprache noch immer nicht – wie die Verfechter beider Hypothesen einräumen. Ob demnach die Steppennomaden uns einst die indoeuropäische Sprache mitbrachten oder schon vorher die jungsteinzeitlichen Bauern, bleibt vorerst im Dunkel der Frühgeschichte verborgen.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. weiter
Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Erbe der Steppenreiter
Wie ein Bronzezeit-Volk unsere Geschichte veränderte

Der große Wandel
Kulturschub in der Bronzezeit

Die dritte Welle
Gene verraten Herkunft unserer Vorfahren

Seuchen, Kampf und frische Milch
Was machte die Steppennomaden so erfolgreich?

Die vierte Wurzel
Woher kamen die Jamnaja?

Das Rätsel unserer Sprache
Woher kommt die Indoeuropäische Sprachfamilie?

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Europäer gehen auf nur wenige Urväter zurück
Y-Chromosomen der Männer zeigen Populationsexplosion in der Bronzezeit

Steppenreiter kamen nicht bis nach Portugal
Iberische Halbinsel erlebte nur geringe Einwanderung in der Bronzezeit

Vierte Wurzel der Europäer entdeckt
Isolierter Jäger und Sammler-Stamm aus dem Kaukasus trug zum Genpool der Europäer bei

Dossiers zum Thema

Altai - Die Wiege der Zivilisation im Herzen Eurasiens