Chemie

Das Spiel mit dem kalten Feuer

Wie zwei zufällige Entdeckungen Autos effektiver machen könnten

Am Kamin sitzen, um sich aufzuwärmen, Würstchen und Stockbrot über dem Lagerfeuer grillen oder Eisen und Glas herstellen – all das ist mit der Hitze des Feuers möglich. Aber was, wenn Feuer gar nicht heiß wäre? Ist das überhaupt möglich?

Der Finger bleibt heile

Gemälde von Sir Humphry Davey
Sir Humphry Davey entdeckte das Phänomen der kalten Flammen. © historisch

Als der britische Chemiker Sir Humphry Davy zu Beginn des 19. Jahrhunderts im dunklen Labor mit der Verbrennung von Gasgemischen experimentierte, entdeckte er etwas Ungewöhnliches. Wenn er einen Draht aus Platin in ein Gemisch aus Luft und Diethyletherdampf hielt „ist über dem Draht ein blasses, phosphoreszierendes Licht zu sehen“, wie Davy in seinen Aufzeichnungen festhielt. Das Licht ähnelte auf den ersten Blick einer Flamme.

Doch als Davy ein Streichholz in die vermeintlich heiße Flamme hielt, fing es kein Feuer und auch Davys Finger blieben verschont, wenn er die Flamme anfasste. Dieses Licht war offenbar nicht so heiß wie „normales“ Feuer. Der Chemiker bemerkte jedoch auch, dass sich diese „kalten Flammen“ spontan in normale, heiße Flammen umwandeln konnten. Lagen Temperatur, Druck und Zusammensetzung des Gasgemisches in einem bestimmten Bereich, war außerdem kein Funken oder heißer Draht nötig, um das kalte Feuer zu entzünden.

Brennendes Streichholz
Streichhölzer benötigen eine Zündtemperatur von etwa 180 bis 200 Grad Celsius – das ist weit mehr als kalte Flammen. © Sebastian Ritter/ CC-by-sa 2.5

Nie vollständig verbrannt

Was aber steckt dahinter? Kalte Flammen entstehen bei der Reaktion von Kohlenwasserstoffen und ähnlichen Brennstoffen mit Luft – und das schon bei Temperaturen von nur 120 Grad Celsius. Dabei erzeugen sie nur sehr wenig Wärme: Kaltes Feuer erwärmt seine direkte Umgebung um nur zehn Grad, weshalb Davey sich nicht die Finger verbrannte.

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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Bei solchen verhältnismäßig niedrigen Temperaturen haben die Brennstoff- und Sauerstoffmoleküle nur wenig Energie und reagieren daher nur schwach, sodass es nie zu einer vollständigen Verbrennung kommt. Stattdessen zerfallen die Moleküle und rekombinieren sich zu stabilen chemischen Verbindungen wie Alkoholen, Peroxiden, Aldehyden oder Kohlenmonoxid.

Klopf, klopf im Automotor

Aber ist kaltes Feuer überhaupt (für uns) relevant? Ja, denn kühle Flammen sind unter anderem für das schädliche Klopfen im Ottomotor von Autos verantwortlich. Beim Verdichten des unverbrannten Kraftstoff-Luft-Gemischs durch die Kolben im Motor wird das Gas erhitzt. Setzen die chemischen Reaktionen dabei schneller Wärme frei, als im Motor abgeleitet werden kann, kann sich das Gemisch selbst entzünden, ohne Hilfe der Zündkerze. Es entstehen kalte Flammen. Sie verursachen Druckunterschiede, die dann das Klopfen erzeugen.

In Davys Experiment und im Ottomotor sind Brennstoff und Luft bereits vermischt, bevor sie sich entzünden. Wissenschaftler sprechen dann von einer vorgemischten Flamme. Lange Zeit gingen Forschende davon aus, dass kühle Flammen nur in solchen vorgemischten Gasen entstehen können.

Kalte Flammen im Orbit

Kalte Flammen
Die kalten Flammen sind häufig nur mit einer speziellen Kameraeinstellung sichtbar. © NASA

Im Jahr 2012 demonstrierten Forschende der NASA auf der Internationalen Raumstation (ISS) jedoch, dass die Flammen auch entstehen können, wenn Brennstoff und Luft zunächst getrennt sind und zueinander diffundieren – auch dies eine zufällige Entdeckung.

Noch einen Schritt weiter ging ein Forschungsteam um Peter Sunderland von der University of Maryland. Ihnen gelang es auf der ISS, kühle Flammen mit Hilfe von gasförmigem anstelle von flüssigem Brennstoff zu erzeugen – die beteiligten Moleküle sind dabei kleiner.

„Bei großen Molekülen ist es viel schwieriger, die grundlegende Chemie zu verstehen“, erklärt Sunderland. „Kleinere Moleküle wie Butan und Propan bieten ein einfacheres System, mit dem man arbeiten kann. Benzin ist ein wirklich komplexer Kraftstoff, daher ist ein gutes Verständnis der leichteren Kohlenwasserstoffe der erste Schritt.“

Effizientere Motoren statt lästiges Klopfen

Die bei solchen Versuchen gewonnenen Erkenntnisse könnten dabei helfen, die Emissionen von Motoren und den Verschleiß der Motorteile zu reduzieren und die Kraftstoffeffizienz zu erhöhen, wie die NASA berichtet. Normale Automotoren haben einen Wirkungsgrad von nur etwa 35 Prozent. Die meiste restliche Energie geht als Wärme verloren und Autos müssen den Motor so zusätzlich kühlen, um die Wärme abzuleiten.

„Wenn wir die Chemie der kalten Flammen beherrschen, könnten wir theoretisch den Wirkungsgrad von Verbrennungsmotoren von 35 Prozent auf bis zu 60 Prozent steigern“, sagt Sunderland. „Viele große Automobilhersteller versuchen jetzt, die kalten Flammen zu verstehen, um ihre Technologie zu verbessern.“ In der Zukunft könnten die einst lästigen Flammen so dabei helfen, Automotoren effizienter zu machen.

 

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