Aber es muss nicht immer eine natürliche Mutation sein, die eine Vogelgrippe zu einem gefährlichen Humanpathogen macht – wie sich Ende 2011 zeigte. Zwei Wissenschaftler-Teams – eines um Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam und das andere um Yoshihiro Kawaoka von der University of Wisconsin und der Universität von Tokio – hatten das Vogelgrippe-Virus H5N1 so genetisch umgebaut, dass es nun auch leicht zwischen Säugetieren übertragen werden konnte, in diesem Falle Frettchen.
Hochansteckend dank Genmanipulation
Das Problem dabei: Der nun über Tröpfcheninfektion hochansteckende Virus gehört zu einer besonders aggressiven Form der Influenza. Er dezimierte 1997 Scharen von Vögeln auf mehreren Kontinenten. Durch engen Kontakt mit infizierten Vögeln hatten sich auch rund 600 Menschen angesteckt, die meisten von ihnen in China. Viele dieser Patienten starben. Die endgültige Anpassung an einen Übertragung von Mensch zu Mensch war diesem Virenstamm aber noch nicht gelungen.
Die Forscher hofften, durch ihre Experimente im Labor herauszufinden, wie genau die Influenza diesen Schritt schafft und welche Mutationen dafür nötig sind. Deshalb halfen sie H5N1 quasi auf die Sprünge – und kreierten eine auch für Säugetiere hochansteckende Mutante. Beide Teams hatten ihre Veröffentlichungen bei den renommierten Fachmagazinen Nature und Science eingereicht. Diese allerdings bekamen kalte Füße und legten die Paper zunächst zur Prüfung dem US National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) vor.
Ihre Angst: Die in den Veröffentlichungen enthaltene detaillierte Beschreibung, wie dieses mutierte Virus erschaffen wurde, könnte Terroristen als Bauanleitung für eine gefährliche Biowaffe dienen. „Es gibt viele Szenarien die man bei so etwas berücksichtigen muss“, erklärt NSABB-Leiter Paul Keim. „Das reicht vom verrückten Wissenschaftler über verzweifelte Despoten und Anhänger von militanten Weltuntergangskulten bis hin zu Bioterroristen oder Staaten, die solche Waffen einsetzen wollen.“
Zensur zum Wohle der Menschheit?
Tatsächlich hielt die NSABB eine vollständige Veröffentlichung beider Paper für zu riskant und empfahl, nur eine gekürzte Version zu veröffentlichen – ohne die potenziell zum Nachbau dienenden methodischen Informationen „Ich kann mir keinen anderen pathogenen Organismus vorstellen, der furchterregender ist als dieser“, hatte Keim zuvor noch erklärt. In der Folge dieser Entwicklung brach ein Sturm der Diskussion los. Es ging um nichts weniger als hochgefährliche Viren, Biosicherheit und die Freiheit der Forschung.
Während einige Wissenschaftler gegen die Zensur ihrer Arbeiten protestierten, reagierten andere betroffen ob des möglichen Missbrauchs ihrer Forschungen. Im Januar 2012 dann zogen sie die Konsequenz: Führenden Influenzaforscher beschlossen ein zunächst 60-tägiges Moratorium für einige Arbeiten in besonders sensiblen und riskanten Bereichen.
Mehr Nutzen als Schaden
Im Februar 2012 dann folgte ein eigens anberaumtes Meeting bei der Weltgesundheitsorganisation WHO – mit unerwartetem Ausgang. Denn die dort versammelten 22 Experten kamen zu dem Ergebnis, dass es weder praktisch noch sinnvoll sei, solche Arbeiten wie die von Fouchier und Kawaoka zu zensieren. Der Nutzen durch die darin enthaltenen Erkenntnisse überwiege das Risiko eines Missbrauchs bei weitem, so ihr Fazit. Allerdings: Sie forderten auch die Einführungen eines Systems, mit dem die Biosicherheit potenziell riskanter Forschungen besser überwacht werden kann.
Gülsah Gabriel ist ebenfalls davon überzeugt, dass derartige Versuche der Virusforschung entscheidende Impulse geben können. „Wir Wissenschaftler haben die Aufgabe, unser Wissen in die Öffentlichkeit zu transferieren. Nur so kann sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unser wichtigstes Gut, die Gesundheit, aufrechtzuerhalten“, erklärt sie. Ließe sich beispielsweise klären, welche und wie viele Mutationen zu einem hoch-ansteckenden H5N1-Virus führen, könnten präventiv Maßnahmen ergriffen werden, um mögliche Gefahren zu unterbinden.
Auch für die Entwicklung von Impfstoffen könnten die Forschungsergebnisse nützlich sein. Die Studien von Fouchier und Kawaoka tragen auf jeden Fall dazu bei, Gabriels Hauptanliegen in der Grippeforschung voranzutreiben: „Nur wenn wir unser Wissen über Infektionskrankheiten stetig erweitern, können wir Ansatzpunkte für die Entwicklung künftiger Medikamente und Impfstoffe schaffen.“
Den ganzen Ablauf der Ereignisse hat „Science“ in einer interaktiven Zeitleiste zusammengefasst.
Nadja Podbregar
Stand: 22.11.2013