Anfang der 1950er Jahre geht in den USA die Angst vor der „roten Gefahr“ um. Die Sowjetunion und ihre Sympathisanten sind Staatsfeind Nummer eins. Unter der Ägide des US-Senators Joseph McCarthy wird im gesamten Land Jagd auf Kommunisten und ihr Mitläufer gemacht, tausende Menschen werden verhört und müssen vor dem Ausschuss vor unamerikanische Umtriebe aussagen.
Auch im sensiblen Bereich des US-Atomwaffenprogramms wächst die Paranoia, wenn auch nicht ganz unbegründet. Denn 1950 kommt heraus, dass es auch im Manhattan Project kommunistische Spione gab, allen voran der britische Physiker Klaus Fuchs. Später werden noch drei weitere identifiziert, einer davon, der Ingenieur Oscar Seborer, erst im Jahr 2019.
Die Sicherheitsfreigabe
Für die Politiker und Militärs, denen Robert Oppenheimer wegen seiner Kritik an der atomaren Aufrüstung schon länger ein Dorn im Auge ist, bietet dieses Klima der Angst die perfekte Gelegenheit. Bereits 1949 wird der Physiker vor einen den Ausschuss für unamerikanische Umtriebe zitiert und gibt dabei offen zu, dass er in den 1930er Jahren, während seiner Zeit in Berkeley, einige kommunistische Veranstaltungen besucht hat und dass viele seiner Studenten und auch sein Bruder Kommunisten waren. Zunächst hat dies jedoch keine schwerwiegenden Folgen.
Das ändert sich am 23. Dezember 1953: Oppenheimer wird von Lewis Strauss, dem Vorsitzenden der US-Atomenergiekommission, darüber informiert, dass man seine Sicherheitsfreigabe widerrufen wird. Er hat nun die Wahl, dies zu akzeptieren und seine Tätigkeiten als Berater in verschiedenen offiziellen Gremien aufzugeben oder die Entscheidung anzufechten. „Ein Rücktritt würde bedeuten, dass ich die Sichtweise akzeptiere und teile, nach der ich nicht in der Lage bin, dieser Regierung zu dienen, der ich nun seit etwa zwölf Jahren gedient habe. Das kann ich nicht tun“, schreibt Oppenheimer am nächsten Tag in einem Brief an Strauss.
Der Ausschuss
Als Folge dieser Weigerung muss sich Oppenheimer im April und Mai 1954 einer Anhörung vor der Atomenergiekommission (AEC) stellen: Vier Wochen lang werden er und 40 Zeugen aus dem Manhattan Project und seinem privaten Umfeld befragt. Wieder geht es vor allem um seine früheren Bekanntschaften mit Kommunisten, darunter vor allem seinen langjährigen Freund Haakon Chevalier. Als verhängnisvoll erweist sich nun, dass Oppenheimer in früheren Anhörungen des FBI gelogen hat, um seinen Freund zu schützen. Auch seine Ablehnung der Wasserstoffbombe wird dem Physiker nun als „antiamerikanisch“ ausgelegt.
Dass Oppenheimer im Los Alamos alles getan hat, um seine Aufgabe zu erfüllen, hilft ihm kaum. Auch nicht, dass der größte Teil der Zeugen, 28 von 40, ihn vehement verteidigt und als absolut vertrauenswürdig beschreibt. Unter den Fürsprechern ist auch der Nobelpreisträger Isidore Rabi, der am Manhattan Project mitgearbeitet hat und selbst dem Beirat der Atomenergiekommission angehört. Er ist empört über die Anwürfe gegen Oppenheimer und verteidigt ihn vehement: „Wir haben die Atombombe, was also wollt ihr noch – Meerjungfrauen? Das war eine enorme Leistung. Wenn das Ende dieses Weges diese Art der Anhörung ist, die einfach demütigend ist, dann ist das eine ziemlich schlechte Show.“
Der „Dolchstoß“ durch Groves und Teller
Einer der wichtigsten Zeugen ist General Leslie Groves, der Oppenheimer als wissenschaftlichen Leiter des Manhattan Project ausgewählt hat. Vor dem Ausschuss verteidigt Groves seine Entscheidung, Oppenheimer trotz dessen bekannten kommunistischen Kontakten die Sicherheitsfreigabe erteilen zu lassen: „Ich war nie der Ansicht, dass es ein Fehler war, Oppenheimer während des Krieges für diesen Posten auszuwählen und ihm die Sicherheitsfreigabe zu erteilen. Er hat die ihm zugewiesene Mission erfüllt und tat dies gut“, so Groves.
Als Groves jedoch gefragt wird, ob er Oppenheimer auch unter den aktuellen Sicherheits-Anforderungen die Freigabe erteilen würde, verneint er dies: „Mit ist egal, wie wichtig der Mann ist… Wenn ich ein Mitglied dieser Kommission wäre, würde ich Dr. Oppenheimer auf Basis dieser Interpretation keine Sicherheitsfreigabe erteilen.“ Zwar betont der General noch, dass dies nur im Licht der aktuellen strengen Vorgaben gelte, dennoch ist der Schaden angerichtet. Ausgerechnet der Mann, der Oppenheimer ausgewählt hat und der am engsten mit ihm zusammengearbeitet hat, fällt ihm jetzt in den Rücken.
Ähnliches gilt für Edward Teller: Der Physiker lobt in seinen Aussagen zwar zunächst Oppenheimers Leistungen in Los Alamos und seine Verdienste für den Bau der Atombombe. Doch auch er spricht sich gegen eine Sicherheitsfreigabe für Oppenheimer aus: „Wenn es eine Frage der Weisheit und des Urteilsvermögens ist, dann würde ich angesichts seiner Handlungen seit 1945 sagen, dass es weiser wäre, keine Sicherheitsfreigabe zu erteilen“, so Teller. Mit „Handlungen“ meint der Mitentwickler der Wasserstoffbombe Oppenheimers kritische Haltung zur atomaren Aufrüstung und der Entwicklung einer thermonuklearen Bombe.
Letztlich hat Oppenheimer keine Chance: Seine Gegner nutzen das Tribunal als Chance, den unbequemen Mahner endlich loszuwerden. Hinter den Kulissen lässt vor allem Lewis Strauss seinen politischen Einfluss spielen – und hat Erfolg.
Das Urteil
Am 23. Mai 1954 gibt der Ausschuss sein Urteil bekannt: Robert Oppenheimer wird die Sicherheitsfreigabe endgültig entzogen. Man halte ihn zwar für einen loyalen Bürger, so heißt es. Aber gleichzeitig attestiert man ihm fundamentale Charakterschwächen, darunter eine Missachtung für Sicherheitsregeln und eine leichte Beeinflussbarkeit. Auch seine Haltung gegenüber dem US-Wasserstoffbomben-Programm mache es zweifelhaft, ob eine weitere Beteilung des Physikers an geheimen Beratungen ratsam sei, so das Urteil.
Für Oppenheimer ist diese Entscheidung ein schwerer Schlag, auch wenn er sich wenig anmerken lässt: „Er nahm das Ergebnis der Sicherheitsanhörung sehr ruhig auf, aber er war hinterher ein anderer Mensch“, erinnert sich Hans Bethe. „Viel von seinem früheren Geist und seiner Lebendigkeit hatte ihn verlassen.“
Oppenheimer zieht sich nach Princeton zurück. Neben seiner Forschung und Lehre im Bereich der Physik beschäftigt er sich jedoch weiterhin mit den moralischen und ethischen Auswirkungen wissenschaftlicher Erfindungen und der daraus resultierenden Verantwortung der Wissenschaft. Am 18. Februar 1967 stirbt Robert Oppenheimer in Princeton an Kehlkopfkrebs.
Ende und späte Rehabilitation
Erst im Dezember 2022 – fast 70 Jahre nach dem Tribunal gibt das US- Energieministerium als die Nachfolgebehörde der Atomenergiekommission zu, dass Oppenheimer Unrecht getan wurde und dass es bei dem Ausschuss alles andere als fair zuging. „Im Laufe der Zeit sind immer mehr Beweise für die Einseitigkeit und Unfairness des Verfahrens ans Licht gekommen, dem Dr. Oppenheimer unterworfen war, während die Beweise für seine Loyalität und Liebe zum Land nur noch mehr bestätigt wurden“, erklärte US-Energieministerin Jennifer Granholm.
Ganz ähnlich hatte es der US-Senator J. William Fulbright schon direkt nach dem Tod Oppenheimers im Jahr 1967 formuliert: „Lassen Sie uns nicht nur daran erinnern, was dieses spezielle Genie für uns getan hat, sondern auch, was wir ihm angetan haben.“
Quellen und weiterführende Infomation:
American Prometheus – The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer
Von Kai Bird und Martin J. Sherwin
Randomhouse/ Vintage 2005
Now it can be told – the Story of the Manhattan Project
Von General Leslie M. Groves
Da Capo Press Reprint von 1962
Los Alamos National Laboratory