Jahr für Jahr dezimiert der Milzbrand Viehherden in Europa. Auch Robert Koch wird mit den verheerenden Ausmaßen dieser Krankheit konfrontiert, als er als Landarzt in Posen arbeitet. Seine Patienten klagen immer wieder, wie die Seuche ihnen ihre gesamte Existenzgrundlage raubt. Selbst auf Weideflächen, die seit Jahren brach liegen, kommt es immer wieder zu Ausbrüchen.
Also beschließt er, der Sache auf den Grund zu gehen. Abgeschnitten von jeglichem Kontakt zu anderen Wissenschaftlern und fernab von Bibliotheken, beginnt Koch in seiner Freizeit mit sehr beschränkten Mitteln zu forschen. Zunächst richtet er sich ein behelfsmäßiges Laboratorium in der Vierzimmerwohnung ein, die er mit seiner Frau und der gerade geborenen Tochter teilt.
Doch worauf kann Koch zurückgreifen? Was ist zu seiner Zeit über den Milzbrand bekannt? Dank seines ehemaligen Lehrers Jakob Henle muss er nicht bei Null anfangen. Henle hatte bereits in den vierziger Jahren postuliert, dass ein lebender Organismus, der so genannte „Contagium animatum“, die Krankheit verursacht. Das Anthraxbakterium (Bacillus anthracis) hatten Forscher bereits 1849 und 1863 beobachtet, doch den genauen Zusammenhang mit der Erkrankung hatte noch niemand erkannt.
Spurensuche im Kuhblut
Koch weiß also, wonach er suchen muss. Nachdem er viel Geld in ein Mikroskop investiert hat, beginnt er, Blut und Gewebe von Tieren zu untersuchen, die an Milzbrand verendet waren. Dabei entdeckt er Millionen von stäbchenförmigen Milzbrandbazillen.
Doch stehen diese wirklich im Zusammenhang mit der Krankheit oder ist ihr Auftauchen nur zufällig? Hier beginnt Kochs eigentliche Forschungsarbeit. Er injiziert das Blut verstorbener Kühe in Mäuse und Meerschweinchen und beobachtet gespannt, was passiert. Schon bald tritt bei den Tieren die typische Verfärbung und Schwellung der Milz auf. Kurz darauf sterben sie. Koch untersucht die Kadaver und findet die Erreger in jedem verendeten Tier. Damit bestätigt er frühere Beobachtungen, wonach Blut in der Lage ist, Milzbrand zu übertragen.
Der Erreger ist gefunden
Doch damit begnügt sich Koch nicht. Er will den Beweis, dass die Bakterien der tatsächliche Auslöser der Krankheit sind und nicht ein anderer Bestandteil des Blutes. Dazu benötigt er Mikroben, die noch nie mit infizierten Tieren oder deren Blut Kontakt hatten. Also beginnt er mit der Züchtung von Bakterien-Reinkulturen und sucht nach einem geeigneten Nährmedium. Im Kammerwasser von Ochsenaugen findet er die optimale Zusammensetzung der notwendigen Nährstoffe. Er kultiviert die Bakterien über mehrere Generationen. Anhand von Versuchstieren zeigt er dann, dass die Tochter-Organismen tatsächlich in der Lage sind, Milzbrand auszulösen.
Das Geheimnis der Sporen
Mittels Langzeitmikroskopie beobachtet Koch Erstaunliches: die Bakterien wachsen und vermehren sich nicht nur – unter ungünstigen Umweltbedingungen, zum Beispiel bei Sauerstoffmangel, bilden sie sogar rundliche, widerstandsfähige Dauerformen, die auch nach jahrelanger Ruhe fähig sind, zu neuen Milzbrandbazillen auszukeimen. Jetzt ist klar, wieso Milzbrand auch wiederholt auf Weideflächen ausbricht, die lange nicht genutzt werden. Sporen des Erregers sickern von verendeten Tieren in den Boden, wo sie jahrelang überleben, bis grasende Tiere sie erneut aufnehmen. Damit hat Koch die Ursache der immer wieder auftretenden verheerenden Viehverluste gefunden.
1876 reist Koch mit seinen Präparaten nach Breslau, um seine Ergebnisse dem Botaniker Ferdinand Cohn zu präsentieren, der als Autorität auf dem Gebiet der noch jungen Bakteriologie gilt. Er erregt großes Aufsehen und erntet hohe Anerkennung. Wenige Jahre später entwickelt Louis Pasteur 1881 basierend auf Kochs Arbeiten einen Impfstoff gegen den Milzbrand.
Stand: 05.07.2005