Impfungen assoziieren wir meist mit der Immunisierung gegen Infektionskrankheiten wie Grippe, Masern oder aktuell Covid-19. Diese Vakzinen wirken vorbeugend, indem sie unser Immunsystem schon vor dem „Ernstfall“ in Kontakt mit den Erkennungsmerkmalen des Erregers bringen. Die Abwehr kann dann vorab passende Antikörper und T-Zellen produzieren.
Die Immunabwehr wappnen
Doch auch gegen Krebstumore kann eine Impfung wirksam sein. Anders als die klassische Schutzimpfung wird sie erst dann verabreicht, wenn schon Krebs diagnostiziert wurde. Das Wirkprinzip ist jedoch ganz ähnlich: „Ziel der therapeutischen Krebsimpfstoffe ist es, das adaptive Immunsystem der Patienten gegen spezifische Tumorantigene zu mobilisieren und so das Tumorwachstum zu kontrollieren und Krebszellen zu beseitigen“, erklären Mansi Saxena vom Mount Sinai Hospital in New York und sein Team in einer „Nature“-Review.
Schon in den 1970er Jahren gab es erste Versuche, bei denen Krebspatienten abgetötete Krebszellen aus ihren Tumoren zusammen mit einem Impfvirus erhielten – mit begrenztem Erfolg. Weil die verimpften Tumorzellen neben einigen krebstypischen Veränderungen auch viele Merkmale gesunder Zellen tragen, reagiert die Immunabwehr meist nur schwach und nicht spezifisch genug. Zwar laufen einige klinische Studien mit modernen Varianten solcher autologen Krebsimpfstoffe, bisher gibt es aber keine Zulassung.
Maßgeschneiderte Tumorantigene
Neuere Strategien setzen daher primär auf sogenannte Neoantigene – Merkmale von Krebszellen, die erst durch ihre Entartung und die damit verknüpften Mutationen entstanden sind. Um sie zu identifizieren, wird den Patienten eine Probe aus dem Tumor entnommen und mittels DNA-Analyse auf ihre individuelle Neoantigen-Zusammensetzung hin untersucht. Aus diesen wählen die Impfstoffhersteller dann mehrere Neoantigene aus, die sich besonders gut als Erkennungsmarker und Angriffsziele für das Immunsystem eignen.
Allerdings: „Ein einzelner Tumor kann tausende von Mutationen zeigen. Vorherzusagen, welche dieser Neoantigene eine starke Antitumor-Reaktion hervorrufen können, ist eine hohe Kunst, die die Medizin bisher erst in Teilen beherrscht“, erklären Alex Waldmann von den US National Institutes of Health und seine Kollegen. Denn ob ein solches Neoantigen die körpereigenen T-Zellen mobilisieren kann, hängt auch davon ab, in welcher Form und Dichte es auf den Krebszellen präsentiert wird. Wissenschaftler versuchen dies unter anderem mithilfe von computergestützten Simulationen und Zellkulturtests herauszufinden.
Wie bei klassischen Vakzinen gibt es auch bei Krebsimpfstoffen verschiedene Möglichkeiten, dem Körper die Tumorantigene zu präsentieren. Sie können direkt im Impfstoff enthalten sein, beispielsweise in Form von synthetischen Peptiden oder antigenbeladenen Abwehrzellen. Häufiger wird jedoch nur die genetische Bauanleitung für die Neoantigene in Form von DNA oder mRNA gespritzt. Die in der DNA oder RNA kodierten Gene werden dann von körpereigenen Zellen abgelesen, die daraufhin die Krebsantigene auf ihrer Oberfläche präsentieren.
Erste positive Ergebnisse
In klinischen Studien gibt es schon erste Erfolge mit Krebsimpfstoffen. So verhalf ein Peptid-Impfstoff mit 20 patientenspezifischen Neuantigenen vier von sechs Patienten mit fortgeschrittenem Melanom in einer Pilotstudie zu mehr als 29 Monaten ohne Wiederkehr der Tumore. Die restlichen beiden Patienten waren nach einer ergänzenden Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren krebsfrei. Eine zweite Studie verabreichte 13 Melanom-Patienten einen RNA-Impfstoff mit den genetischen Bauanleitungen für zehn Neoantigene und erreichte ein ähnlich positives Ergebnis.
Ebenfalls vielversprechende Ergebnisse erbrachte 2020 die Kombination eines Impfstoffs mit dem Brustkrebs-Antigen HER2/neu und dem anschließend verabreichten Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab. „Unsere Annahme war dabei, dass die Checkpoint-Inhibitoren besonders gut wirken, wenn der Körper schon eine Immunreaktion ausgelöst hat“, erklärt Kim Lyerly von der Duke University. Denn dann sind bereits genügend T-Zellen aktiv und in Tumornähe, die die Antikörper dann „enthemmen“ können.
Eine für alle?
Auch die Mainzer Firma BionTech hat mehrere Vakzin-Kandidaten gegen Krebs im Test. Zurzeit laufen klinische Phase-2-Studien für Vakzinen gegen Melanom und Rachenkrebs, sowie Phase-1-Studien für Impfstoff-Kandidaten gegen Lungenkrebs, Prostatakrebs und Eierstockkrebs. Eine Besonderheit bei diesen mRNA-Impfstoffen ist, dass sie nicht patientenspezifisch sind. Stattdessen enthält diese sogenannte FixVac-Plattform die Baupläne für bestimmte Tumorantigene, die bei dem jeweiligen Krebstyp häufig vorkommen.
Dies soll den Aufwand und vor allem die Zeit bis zur Behandlung der Patienten verringern. Denn bisher dauert es bei personalisierten Krebsimpfstoffen im Schnitt vier Monate, bis ein Impfstoff auf Basis der individuellen Tumor-Antigene produziert wird. „Für Patienten mit schnell wachsenden Tumoren oder Metastasen können Monate aber schon entscheidend für das Überleben sein“, so Waldmann.
Noch ganz am Anfang
Doch egal ob krebsspezifisch oder individualisiert: Bisher stehen die Impfung gegen Krebs und die meisten anderen Immuntherapien noch ganz am Anfang. Trotz erster Erfolge in kleineren klinischen Studien haben Krebs-Impfstoffe bisher nur ihre Wirkung bei wenigen Krebsarten und wenigen Patienten bewiesen. Zudem sind viele Details der Immunreaktion auf Neoantigene und zu möglichen Störfaktoren noch nicht vollständig aufgeklärt.
Dennoch gelten die verschiedenen Varianten der Immuntherapie als große Hoffnungsträger der Krebsmedizin. Denn sie könnten eine gezieltere und wirksamere Bekämpfung vieler hartnäckiger Tumore ermöglichen – sofern sich die zurzeit getesteten Methoden bewähren und weiter optimiert werden können.