Nachdem es Anfang des 20. Jahrhunderts in Amerika gelungen war, eine Referenzchronologie zur jahrgenauen Datierung von Holzfunden zu erstellen, wollten auch Botaniker und Archäologen in Europa diese neue Methode nutzen. Doch mit der Chronologie aus nordamerikanischen Ponderosa-Kiefern konnte man auf dem alten Kontinent nichts anfangen.
Europäischer Ehrgeiz
So machten sich in den 30er und 40er Jahren ein Tharandter Forstprofessor und seine Studenten daran, auch für Mitteleuropa eine Standardchronologie zu entwickeln. Geeignetes Holz fand man in alten Pfahlbausiedlungen, die aus Tausenden Eichenholzbalken erbaut worden waren. Doch nur mühsam ließen sich daraus längere Jahrringreihen zusammenfügen. An eine genaue Datierung war nicht zu denken, weil es sich nur um schwimmende Chronologien handelte.
1963 gelang in Europa die erste gesicherte Datierung der prähistorischen Siedlungen mit einer Eichenchronologie, die an die Gegenwart angebunden war. Obwohl diese Chronologie bis ins erste vorchristliche Jahrtausend reichte, stellte sie sich noch immer als zu kurz heraus. Nicht alle archäologischen Funde ließen sich datieren, weil sie oft noch immer älter waren als die Baumringchronologie.
Die erste europäische Standardchronologie
Schließlich begann man, Holz aus Flüssen mit großen Schotterbänken genauer unter die Lupe zu nehmen.
An der Donau, an Rhein und Main wurde in großen Mengen Kies abgebaut, und dabei kamen regelmäßig Unmengen von alten Baumstämmen zutage. Seit der letzten Eiszeit hatten die Flüsse Holz zusammengeschwemmt und unter Lehmschichten luftdicht verschlossen abgelagert. Für die Forscher waren vor allem Eichen interessant, weil sie zur Verlängerung der Chronologie aus den Pfahlbausiedlungen genutzt werden konnten. Bis zu 200 Jahre alte Exemplare erlaubten dann tatsächlich die Erweiterung der historischen Eichenchronologie. 1985 galt sie mit einer Länge von 7.000 Jahren als vervollständigt.Heute ist die süddeutsche Eichen-Standardchronologie mit ihren Belegexemplaren an der Universität Hohenheim beheimatet. Hier ist in den letzten Jahrzehnten eines der bedeutendsten dendrochronologischen Labors in Europa entstanden. Und hier erwies sich auch, dass die Chronologie längst nicht vollständig war, wie angenommen. Vermutlich wird sie es auch nie sein, weil immer wieder Holz gefunden wird, das noch ein klein wenig älter ist, als das Stück zuvor.
Bisher Rekord: 12.483 Jahre ohne Lücke
Der Hohenheimer Jahrringkalender ist heute der älteste der Welt. Er reicht ohne Lücke von der Gegenwart 12.483 Jahre zurück, bis ans Ende der letzten Eiszeit. Hinzu kommt eine schwimmende Chronologie, die die Jahrringreihe auf 14.400 Jahre verlängern könnte. Das Verbindungsstück fehlt noch.
Die ursprüngliche Eichenchronologie bildet einen Grundpfeiler des Hohenheimer Jahrringkalenders, aber sie umfasst nicht die ältesten Holzfunde. In Hohenheim hat man parallel Baumringreihen aus Fichten, Kiefern und Tannen entwickelt. Dabei stellte sich heraus, dass sich zusammenhängende Chronologien verschiedener Baumarten miteinander vergleichen und, wenn auch beschränkt, ergänzen lassen. Kiefern sind die ältesten Exemplare der Hohenheimer Forscher, sie waren die ersten Bäume, die nach dem Abschmelzen der Gletscher das Land in Mitteleuropa besiedelten, Eichen dagegen sind erst vor 10.000 Jahren eingewandert.
Und wieder ein Missing Link
Der Hohenheimer Missing Link, der die derzeitig noch losgelöste Chronologie an den Jahrringkalender ankoppeln soll, wird deshalb vermutlich auch eine Kiefer sein. Die buchstäbliche Nadel im Heuhaufen hat die Forscher jüngst in die Karpaten nach Rumänien geführt. Am Ende der Eiszeit herrschte dort ein ähnliches Klima wie in Süddeutschland. In den unzugänglichen Gebirgsregionen erhoffte man sich, noch Baumzeugnisse aus dieser Zeit zu finden. Doch die Suche war vergebens, noch ist die Lücke nicht geschlossen.
Stand: 05.11.2004