Cherrapunji, ein Städtchen im Nordosten Indiens zwischen der Ebene Bangladeshs und den steilen Flanken des Himalajas, hat nur zwei Jahreszeiten: Monsun oder kein Monsun. Während des Sommermonsuns zwischen Juni und September werden hier auf 1.313 Meter Höhe die stärksten Niederschläge der Welt gemessen. An einem einzigen Tag kann dabei mehr Regen fallen, als in einem ganzen Jahr in Deutschland. Wie aber kommt der Regen ausgerechnet nach Cherrapunji? Und warum fällt drei Viertel des jährlichen Niederschlags in ganz Indien nur innerhalb von drei Monaten?
Der Regen in Indien, die Dürre in Afrika, der Schnee in Kanada und das wechselreiche Wetter in Deutschland wird bestimmt von einem komplexen Zusammenspiel aus Sonneneinstrahlung, Temperatur, Luftdruck, Windsystemen und vielem mehr – dem Klima.
Als Motor des Klimas verteilen Winde Luftmassen von Hochdruckgebieten zu Tiefdruckgebieten, um die Druckunterschiede auszugleichen. In den Tropen der Südhalbkugel weht daher beispielsweise ein steter Luftstrom von dem Hoch über dem Indischen Ozean im Süden zur Tiefdruck-„Rinne“ am Äquator. Der gradlinige Luftaustausch von Süden nach Norden wird jedoch von der Erdrotation abgelenkt – wie ein Strohhalm, der sich im Fahrtwind verbiegt. Die Drehung drückt die Winde je näher sie dem Äquator kommen immer stärker nach Westen, bis sie diagonal darauf zusteuern: der Südost-Passat.
Doch was hat das Ganze mit Indien zu tun? Oder gar mit Cherrapunji? In den Sommermonaten Juni bis September heizt sich das tibetische Hochplateau nordwestlich von Indien durch die Sonneneinstrahlung so stark auf, dass ein Hitzetief niedrigeren Luftdruck aufbaut als das Tief am Äquator. Die „Rinne“ verlagert sich daher bis nach Tibet und zieht wie ein Staubsauger den Passat der Südhalbkugel mit über den Äquator Richtung Norden. Die auf der Nordhalbkugel umgekehrten Kräfte der Erdrotation lenken den Südost-Passat in einen Südwest-Wind ab, der Kurs auf den asiatischen Kontinent nimmt.
Mit dem Wind kommt der Regen
Die Luft über den tropischen Meeren aber gleicht in Äquatornähe einer Dampfsauna: Durch ihre hohe Temperatur kann sie besonders viel Feuchtigkeit aufnehmen und baut sich zu mächtigen Wolkentürmen auf. Vom Südwest-Wind angeschoben erreicht die feucht-warme Luft die Küste Indiens als Monsun und gleitet auf das Hitzetief. Zum Aufsteigen gezwungen, kühlt sich die Luft mit der Höhe ab und kann die Feuchtigkeit nicht mehr halten: Der Monsun überzieht das Land mit heftigen Regenfällen bis nach Cherrapunji im Nordosten. Hier ist für die Wolken Endstation: vor ihnen ragt der Himalaja bis auf mehr als 8.000 Meter Höhe auf. Was noch nicht als Monsun-Regen das Land überschwemmt hat, fällt hier als Steigungsregen vor dem höchsten Gebirge der Welt.
Doch wo der Regen hin fällt, bleibt er nicht. Nicht nur das durchweichte Monsun-Land, sondern auch die Wassermassen aus dem Himalaja werden von den beiden Hauptflüssen Brahmaputra und Ganges abtransportiert. Die Regenfluten durchbrechen Jahr für Jahr die Flussdämme und überschwemmen im Gangesdelta oft die Hälfte von Bangladesh mit bis zu zwei Meter hohen Wassermassen.
Das Förderband des Monsunregens kommt erst zum Stillstand, wenn sich das Hitzetief im September langsam aufzulösen beginnt und sich die Tiefdruckrinne wieder zurück an den Äquator verschiebt. Langsam kommt auch der Regen in Cherrapunji zur Ruhe, und die Monatsmittel sinken zwischen November und Februar sogar unter 100 Millimeter pro Monat. Aber auch in der Monsunzeit bleibt den Dorfbewohner ein kleiner Trost: Der Großteil des Regens fällt nachts.
Stand: 21.07.2006