Wenn man eine kognitive Fähigkeit genau beschreiben will, so ist es ideal, wenn es gelingt, einen Test zu entwerfen, dessen Bearbeitung durch die Testperson zeigt, ob diese die Fähigkeit besitzt. Für die Zuschreibung von Gedanken haben Wissenschaftler den sogenannten „False-Belief“-Test als Standard entwickelt.
Um zu überprüfen, ob eine Person die eigenen Überzeugungen von denen einer anderen Person unterscheiden kann, benutzen sie eine Geschichte: Sally legt den Ball in den Korb und geht spazieren. Inzwischen nimmt Anne den Ball und legt ihn in die Schachtel. Sally kommt zurück. Frage an die Versuchsperson: Wo sucht Sally den Ball? Zwei- und Dreijährige antworten „In der Schachtel“, denn da ist er ja. Erst Vierjährige antworten „Im Korb, weil sie ihn dort hineingelegt hat.“
Schrittweise Entwicklung
Personen, die diesen Test bestehen, können klar zwischen ihren eigenen Meinungen und den Meinungen anderer Personen unterscheiden. Sie zeigen auch die Fähigkeit, sich in die Lage des Anderen hineinversetzen zu können. Bemerkenswert ist, dass die Entwicklung dieser Fähigkeit zeitlich mit dem Entstehen eines autobiographischen Gedächtnisses zusammenfällt: Erst ab dem dritten Lebensjahr beginnen wir Erlebnisse so im Gedächtnis abzuspeichern, dass wir sie auch nach Jahrzehnten noch abrufen und mit uns selbst verbinden können. Deshalb scheint das Ich in dieser Lebensphase gerade auch durch die Zuschreibung von Gedanken die entscheidende Veränderung hin zu einem typisch menschlichen Ich zu durchlaufen.
Können Kleinkinder es schon früher?
In der neueren Literatur wird heftig diskutiert, wann genau Kleinkinder die Fähigkeit der Zuschreibung von Gedanken erlernen: Klar ist, dass sie es mit Hilfe von Sprache erst mit dem vierten Lebensjahr bewältigen. Strittig ist, ob schon einfachere Verhaltenstests zeigen können, dass diese Fähigkeit implizit verfügbar ist: zum Beispiel ein verändertes Blickverhalten, welches Überraschung anzeigt, wenn man Sally, die den Ball in den Korb gelegt hat, nach dem Umlegen in die Schachtel dabei beobachtet, wie sie den Ball in der Schachtel sucht.
Solche Strategien versuchen den Test ganz ohne Sprache auszuführen. Es gibt spannende Befunde aus dem Jahr 2005 der Kolleginnen Onishi und Baillargeon aus Urbana-Champaign, die nahelegen, dass Kinder schon mit 15 Monaten eine Unterscheidung von Gedanken anderer leisten können. In jedem Fall haben wir es zumindest mit einer interessanten, nichtsprachlichen Form des Verstehens anderer Personen zu tun.
RUBIN / Albert Newen, Leon de Bruin
Stand: 29.04.2011