Schon in der Steinzeit waren Sonne und Mond für unsere Vorfahren die wichtigsten Zeitgeber. Sommer- und Wintersonnwenden markierten wichtige Wendepunkte im rituellen wie im landwirtschaftlichen Jahr, die Phasen des Mondes kennzeichneten Monate, die Auf-und Untergänge der Sonne die Tage. Dass auch die in Mitteleuropa lebenden Menschen damals schon Sonnen- und Mondlauf beobachteten, belegt unter anderem das vor rund 7.000 Jahren errichtete Sonnenobservatorium von Goseck.
Goldene Bögen und ein 82°-Winkel
Welche Rolle aber spielte in diesem Zusammenhang die Himmelsscheibe von Nebra? Hier kommen die beiden auffälligen goldenen Randbögen der Scheibe ins Spiel. Sie wurden erst nach den meisten anderen Goldverzierungen angebracht, wie Metallanalysen zeigen. Sie gehören damit zu einer zweiten Nutzungsphase der Scheibe. Interessant ist ihre Länge: „Sie spannen einen Winkel von 82° auf“, erklärt der Bochumer Astronom Wolfhard Schlosser. Für eine bloße Verzierung scheint dies seltsam, denn aus Gründen der Symmetrie würde man da eher ein Kreisviertel von 90°erwarten.
Sucht man aber in der Astronomie nach Winkeln von 82°, dann wird man fündig: An dem Breitengrad, an dem auch Sachsen-Anhalt liegt, durchwandern die Sonnenuntergänge von einer Sonnwende zur anderen genau 82°. Das gleiche gilt für die Sonnenaufgänge. Bezieht man nun noch den Fundort der Himmelsscheibe mit ein, dann wird aus ihr ein praktisches Werkzeug, um die wichtigen Eckpunkte des Sonnenjahres, die Sonnwenden und Tagundnachtgleichen zu identifizieren.
Sonne über dem Brocken
Denn vom Fundort der Scheibe unterhalb des Mittelbergs gesehen, geht die Sonne zur Sommersonnwende ziemlich genau über dem Gipfel des rund 85 Kilometer entfernten Brockens unter. Im die Himmelsscheibe zu justieren, richtet man sie an diesem Tag so aus, dass ein Ende des neben der Mondsichel liegenden Horizontbogens genau auf Sonnenuntergang und Brocken zeigt.
Hält man nun in den nächsten Tagen und Wochen die Scheibe immer in dieser Ausrichtung, dann markiert der goldene Bogen die Wanderung der Sonnenuntergänge. Hat die untergehende Sonne im Winter das Ende des Bogens erreicht, ist Wintersonnwende – von jetzt an kehren die Untergänge ihre Wanderung wieder um. Die Tage werden länger und ein neuer Zyklus beginnt. Allerdings: Bis heute ist nicht sicher, ob die bronzezeitlichen Besitzer der Himmelsscheibe sie auch tatsächlich dafür nutzten. Dass die beiden Horizontbögen nachträglich angebracht wurden, macht dies aber zumindest wahrscheinlich.
Im Jahr 2006 allerdings enthüllten Forschungen eine noch viel komplexere Funktion der Himmelsscheibe…
Nadja Podbregar
Stand: 28.11.2014