Der größte Teil des Universums liegt für uns buchstäblich im Dunklen, denn wir kennen bisher nur einen Bruchteil der Teilchen und Kräfte, die es ausmachen. Die für uns sichtbare, messbare Materie macht gerade einmal rund fünf Prozent des gesamten Kosmos aus. Der Rest ist von exotischen Materieformen und rätselhaften Kräften geprägt, die wir als Dunkle Materie und Dunkle Energie umschreiben. Welche Teilchen hinter diesen Phänomenen stecken, ist noch völlig ungeklärt. Auch das Standardmodell der Physik und die in ihm erfassten Teilchen erweisen sich in diesem Punkt als unvollständig.
Unsichtbar und überall
Klar scheint, dass die Dunkle Materie fast überall im Kosmos vorkommt: Sie häuft sich im Halo von Galaxien, bildet gewaltige Ströme im lokalen Kosmos und könnte sich sogar quer durch unser Sonnensystem hindurchziehen. Zwar ist diese Dunkle Materie mit keinem Instrument direkt nachweisbar, sie verrät sich aber durch ihre Schwerkraftwirkung auf die sichtbare Materie. Diese „dunkle“ Anziehungskraft hält Galaxien zusammen und prägte im frühen Kosmos wahrscheinlich die Verteilung der allerersten Gaswolken, Sterne und Galaxien.
Doch darüber hinaus ist über die Eigenschaften und das Verhalten der Dunklen Materie nur wenig bekannt. Astronomische Beobachtungen und Modelle legen nahe, dass diese exotische Materieform schon zu Beginn der kosmischen Entwicklung vorhanden gewesen sein muss – vielleicht sogar schon vor Abschluss der kosmischen Inflation beim Urknall. Außerdem scheint sie sich nur sehr langsam zu bewegen und daher physikalisch gesehen „kalt“ zu sein.
„Aber über diese grundlegenden Fakten zu Temperatur und Langlebigkeit hinaus haben wir kaum Informationen über die Natur und Eigenschaften der Dunklen Materie“, erklärt Francesca Chadha-Day von der Durham University in England.
Welches Teilchen steckt dahinter?
Entsprechend rätselhaft ist auch, woraus die Dunkle Materie überhaupt besteht: Geht sie auf ein Elementarteilchen oder mehrere zurück? Und welcher Art sind diese Teilchen? Bisher kennt das Standardmodell der Physik zwei grundlegende Sorten von Elementarteilchen. Die erste Gruppe sind Fermionen – Partikel, die die Grundbausteine der Materie bilden. Zu ihnen gehören alle aus Quarks zusammengesetzten Teilchen sowie Elektronen, Myonen und Neutrinos. Die zweite Gruppe bilden die Bosonen. Diese Teilchen mit ganzzahligem Spin umfassen die Trägerteilchen der Grundkräfte, darunter die Gluonen und Photonen, sowie das Higgs-Boson, das allem eine Masse verleiht.
Doch in welche dieser Kategorien könnten die Dunkle-Materie-Teilchen gehören? Bisher ist nicht einmal diese Frage geklärt. Lange Zeit favorisierten physikalische Theorien das WIMP (Weakly Interacting massive Particle) als Hauptkandidaten. Dieses schwere, nur schwach mit sich und normaler Materie wechselwirkende Fermion könnte einem sehr massereichen Neutrino ähneln, so die Vorstellung. Allerdings haben Physiker selbst nach jahrzehntelanger Suche bisher keine Spur von WIMPs oder anderen fermionischen Dunkle-Materie-Kandidaten gefunden.
Ist es ein Boson?
Deshalb rückt inzwischen die zweite große Teilchensorte in den Fokus der Fahndung, die Bosonen. Diese Teilchen haben den Vorteil, dass sie gleichzeitig wie ein Feld wirken können. „Wenn das Dunkle-Materie-Teilchen beispielsweise ein leichtes Boson ist, dann könnte es im Kosmos einen kohärenten, wellenartigen Zustand einnehmen, der sich langsam bewegt und damit kalt ist“, erklärt Chadha-Day. Das würde zu den beobachteten Eigenschaften der Dunkle Materie passen.
Dass es eine solche Dualität aus Boson und Feld gibt, demonstrierte die Entdeckung des Higgs-Bosons im Jahr 2012. Denn dieses ist im Prinzip nur die Manifestation eines riesigen, das gesamte Universum durchspannenden Skalarfelds – einer Art Kraftfeld, dessen Intensität bestimmt, wie viel Masse ein Objekt oder Teilchen hat. Dort, wo sich dieses Feld verdichtet, kondensiert es aus und wird zum Teilchen – dem Higgs-Boson. Auf ähnliche Weise könnte – so die momentan favorisierte Theorie – auch die Dunkle Materie auf ein Boson und das dazugehörende Feld zurückgehen.
Für diese Annahme könnte sprechen, dass sowohl Dunkle Materie als auch das Higgs-Feld eng mit Masse und Gravitation verknüpft sind. Während das Higgs allem eine Masse verleiht, interagiert die Dunkle Materie vor allem über ihre Schwerkraftwirkung und damit indirekt auch über seine Masse mit normaler Materie. Doch wenn das gesuchte Teilchen der Dunklen Materie tatsächlich ein Boson sein sollte, wie könnte es aussehen und wirken?