In der Küche ist es warm, wärmer als in den anderen Zimmern der Wohnung, denn hier halten sich viele Leute auf. Es ist ein entspannter Abend, es wird gelacht, gefeiert und ein bisschen getanzt. Später soll es noch in einen Club weiter gehen – schon jetzt ist die Musik laut und geeignet, den Klausurstress für ein paar Stunden zu vergessen.
„Nur mal probieren“
Die Szenerie für den ersten Kontakt mit Substanzen wie Kokain, Alkohol oder THC könnte gut so oder ähnlich aussehen. Aus der Stimmung heraus könnte der der Gastgeber den Kühlschrank öffnen und ein Päckchen mit weißem Inhalt herausholen. Er würde es auf den Tisch und legen und sagen: „So, Leute, das ist mein heutiger Partybeitrag.“ Allen ist sofort klar: Es ist Kokain. Denn Speed oder andere sogenannte „Upper“ wären nicht auf Jens Niveau – viel zu günstig. Ein Gramm Kokain kostet schon seine 100 Euro auf dem Schwarzmarkt. Jens lässt sich nicht lumpen. Die Freude bei den Gästen ist umso größer.
Das weiße Pulver wird auf den Tisch geschüttet – auf eine Glasplatte, die als Unterlage dient. Dann mit einer Rasierklinge in zunächst nur dünne Linien gezogen, für die, die es nur mal ausprobieren wollen, so wie Hanna. Sie hat ein kleines Glasröhrchen in der einen Hand, ein Glas Whiskey in der anderen. Das mit den Geldscheinen sei quatsch, hat man ihr gesagt. Es gehe viel zu viel dabei verloren und sei unhygienisch. Sie beugt sich lässig über den Tisch, hält sich ein Nasenloch zu und atmet durch das Röhrchen tief ein. Dann legt sie instinktiv den Kopf zurück und schließt die Augen.
Lokal betäubend
Der Geschmack ist bitter, scharf, warm und läuft ihren Rachen hinab. Es macht sich ein Taubheitsgefühl breit dort, wo das chemisch aufbereitete Pulver der Koka-Pflanze ihre Schleimhäute berührt. Ist es gestreckt, würde das gesamte Gesicht taub, denn häufig wird Kokain mit seinen Derivaten – zum Beispiel Lidocain versetzt. Sie sind billiger und erlauben daher einen höheren Gewinn für den Dealer, wirken aber nicht so lokal begrenzt wie Kokain, weshalb sich das Taubheitsgefühl dann auf das gesamte Gesicht ausweiten kann.
Was jetzt in Hannas Rachen und Nasenflügeln passiert ist komplex. Der Taubheitseffekt, den die junge Frau spürt, ist nur ein Teil der Wirkung des Rauschmittels. Denn auf das sogenannte periphere Nervensystem wirkt Kokain betäubend, weshalb das Kokain anfangs in der Medizin als Lokalanästhetikum eingesetzt wurde. Heute kommt es hier kaum noch zur Anwendung – das Suchtpotential ist zu hoch. Allerdings ist es eher die Wirkung des Koka-Extraktes auf das zentrale Nervensystem (ZNS), die für den Rausch und auch die Entstehung einer Kokainabhängigkeit verantwortlich ist.
Kathrin Bernard
Stand: 22.02.2013