In der Nacht zum achten November 1895 ist es kalt und dunkel in Würzburg. Viele Menschen schlafen schon, aber in einem Fenster brennt noch Licht. Der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen arbeitet in seinem Labor. Noch ahnt er nicht, dass er durch Zufall gleich eine Entdeckung macht, die ihm sechs Jahre später, am zehnten Dezember 1901, den erstmals verliehenen Nobelpreis einbringen wird.
Wie viele seiner Kollegen experimentiert er mit den damals neu entdeckten Kathodenstrahlen. Dazu hat er eine der sogenannten Gasentladungsröhren (oder Hittorf-Crookessche Röhre) besorgt, in der eine hohe Spannung angelegt wird. Durch die starke Beschleunigung der Elektronen zwischen Anode und Kathode kann man einen schmalen, glühenden Streifen in der Röhre erkennen.
Doch Röntgen bemerkt noch einen weiteren Effekt: Im abgedunkelten Raum entdeckt er auf einem Leuchtschirm Lichtschimmer. Und auch einige Kristalle, die Reste der Bariumplatincyanid-Beschichtung des Schirmes, die noch auf dem Tisch liegen, beginnen zu leuchten. Das Licht der Kathodenstrahlen ist viel zu schwach, sie können nicht für diesen Effekt verantwortlich sein. Röntgen umhüllt die Röhre nun mit schwarzem Papier, der Schirm aber leuchtete weiter. Sogar aus einer Entfernung von zwei Metern erreichen ihn noch die geheimnisvollen und bis dahin unbekannten Strahlen aus der Röhre.
Da das schwarze Papier die Strahlen nicht aufhalten konnte, versuchte Röntgen, sie durch andere Gegenstände dringen zu lassen. Er durchleuchtete eine Holztür, ein Whistspiel, Hartgummi, Silber, Gold und Blei. Als begeisterter Hobbyfotograf kam der Physiker auf die Idee, auch Fotopapier mit den Strahlen zu schwärzen. So entstanden die ersten Röntgenbilder, etwa das Bild der durchleuchteten Hand seiner Frau. Neben der Erkenntnis, daß die X-Strahlen, wie Röntgen seine Entdeckung nannte, weniger dichtes Material besser durchdringen als Knochen oder Metall, erkannte Röntgen auch bereits, dass Blei die Strahlen abschirmt und somit als Strahlenschutz geeignet ist. Seine Versuche waren so umfangreich, dass es über zehn Jahre dauerte, bis andere Physiker zu weiterführenden Kenntnissen über die X-Strahlen kamen.
Obwohl Röntgen seine neue Entdeckung zunächst nicht an die große Glocke hängte und erst Ende Dezember seine Versuche der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft mitteilte, erregten die X-Strahlen, die später nach ihrem Entdecker benannt wurden, doch bald schon große Aufmerksamkeit. Das Bild der Hand von Frau Röntgen mit den sichtbar gemachten Knochen verursachte vor allem in der Medizin viel Interesse. Ärzte waren von dem Gedanken begeistert, ihrem alten Traum – dem gläsernen Menschen – näher gekommen zu sein.
Nur vier Monate nach ihrer Entdeckung konnten in New York Besucher einer Ausstellung ihre Hände mit den Strahlen durchleuchten und erstmals ihre eigenen Knochen sehen. In Schuhgeschäften wurde es Mode, Röntgenapparate aufzustellen, mit denen die Kunden den Sitz neuer Schuhe überprüfen konnten und selbst auf Parties und Gesellschaften vergnügten sich die Gäste teils mit dem Durchleuchten ihrer eigenen Hände und Füße. Die schädliche Wirkung der Strahlung wurde erst später bekannt.
Stand: 30.05.2000