Ein Atomkraftwerk ist ein komplexes Gebilde aus mehreren hunderttausend Tonnen Beton, Stahl und anderen Baumaterialien. Radioaktiv kontaminiert ist davon zwar nur der geringste Teil – meist rund drei Prozent. Doch viele dieser strahlenden Reste kann man nicht einfach als Ganzes heraustrennen oder ohne aufwändige Vorarbeiten entsorgen. Was wann und auf welche Weise abgerissen und entsorgt wird, erfordert daher einiges an Aufwand und Planung.
Vom Sauberen zum „Schmutzigen“
Den Anfang machen Anlagenteile, die nachweislich nicht kontaminiert sind – dazu gehören beispielsweise die Komponenten der Kontrollstände, Elektromotoren und Generatoren oder Teile des sekundären Wasserkreislaufs. Jedes Bauteil wird nach Material sortiert, zerkleinert und dann säuberlich getrennt in standardisierte Gitterboxen verfrachtet. Diese Boxen werden in einer speziellen Messanlage auf dem Gelände noch einmal auf Kontamination kontrolliert. Übersteht das Material diese sogenannte Freimessung ohne Beanstandungen, kann es wie normaler Bauschutt weiterverwendet oder verkauft werden.
Als nächstes folgt die Bearbeitung von schwach radioaktiven Bauteilen, bei denen nur die Oberfläche durch Zerfallsprodukte kontaminiert ist. Dazu gehören Kräne, die Leitungen und Komponenten des Kühlkreislaufs oder die Wände, Böden und Decken des Reaktorgebäudes. „Man macht es beim Abwaschen ja auch so: Man fängt ja auch nicht mit dem Schmutzigen an, man macht zuerst die Gläser. Und so ähnlich kann man sich das hier auch vorstellen“, erklärt Marlies Philipp, Ingenieurin und Sprecherin des für den Rückbau des Kernkraftwerks Greifswald zuständigen Unternehmens Energiewerke Nord (EWN).
Oberflächen-Dekontamination: Spülen, Schleifen und Fräsen
Um die Menge des radioaktiven Abfalls möglichst gering zu halten, werden diese Bauteile nicht als Ganzes entsorgt, sondern dekontaminiert. In mühevoller Kleinarbeit tragen dabei Arbeiter in voller Schutzmontur die verseuchten Schichten ab. Häufig müssen die Bauteile dafür zunächst mit Schneidbrennern oder Spezialsägen in handhabbare Einheiten zerkleinert werden.
Zur Dekontamination kommt bei lackierten Metalloberflächen oft ein Hochdruckreiniger zum Einsatz, der die kontaminierte Lackschicht mit einem starken Wasserstrahl abschleift. Bei anderen Metallteilen ätzen die Arbeiter die kontaminierten Schichten mit starken Säuren oder Laugen weg oder schleifen sie mechanisch ab. Bei Betonwänden und anderen nichtmetallischen Gebäudeteilen werden die oberen Schichten meist abgefräst. Weil Radionuklide zudem durch Mikrorisse und Löcher tiefer in das Material eindringen können, werden diese aufgestemmt und ausgehöhlt.
Alle dekontaminierten und gereinigten Bauteile werden zerkleinert, in Boxen verpackt und können nach erfolgreicher Freimessung dann wie der restliche Bauschutt verkauft oder recycelt werden.
Ab ins Zwischenlager
Die radioaktiven Reste – abgetragener Lack und Metallpartikel, Stahl- und Betonteile sowie kontaminiertes Wasser und andere Lösungsmittel – werden in spezielle Fässer verpackt und als schwach- und mittelradioaktiver Abfall abtransportiert. Dieser Atommüll macht vom 90 Prozent der beim Rückbau anfallenden radioaktiven Abfälle aus. Sie sollen langfristig im ehemaligen Bergwerk Schacht Konrad in Niedersachsen eingelagert werden. Dieses allerdings ist wird zurzeit noch dafür umgerüstet und soll frühestens 2027 in Betrieb genommen werden.
Bis dahin wird dieser schwach- bis mittelradioaktive Atommüll daher in Zwischenlager gebracht und dort gelagert. So sind beispielsweise im Zwischenlager für den Rückbau des Atomkraftwerks Greifswald allein sieben Hallen für diese Reste reserviert.
Ist dieser Teil des Rückbaus erledigt, geht es an „Eingemachte“ – den Reaktorkern.