Eine der größten Gefahren beim Ausbruch eines Gletschervulkans ist paradoxerweise nicht Feuer, sondern Wasser. Denn die glühend heiße Lava schmilzt in kurzer Zeit große Mengen Eis an der Gletscherbasis – und diese müssen irgendwo hin. Im Falle des Bárðarbunga-Grimsvötn-Systems sammelt sich das Schmelzwasser zunächst im subglazialen Grimsvötn-See.
Ein subglazialer See – randvoll mit Schmelzwasser
Schon unter normalen Bedingungen schmelzen durch die geothermische Hitze des Vulkansystems bis zu fünf Kubikkilometer Eis pro Jahr von der Basis des Vatnajökull ab und fließen in das Grimsvötn-Reservoir. In der Regel kommt es daher alle vier bis sechs Jahre zu einem sogenannten Jökulhlaup – einem Gletscherlauf, bei dem das Schmelzwasser die vergleichsweise dünne Eisbarriere durchbricht, die wie ein natürlicher Staudamm den Ausfluss des Sees blockiert. In einer reißenden Sturzflut schießt das Wasser dann unter dem Gletscher hervor und überflutet die unterhalb liegenden Ebenen.
Je nachdem, wo sich das Wasser seine Bahn bricht, kann die Sturzflut des Jökulhlaup Straßen, Siedlungen und weite Teile der vor dem Gletscher liegenden Ebenen überfluten. Ob ein solcher Gletscherlauf droht, sollen unter anderem Seismometer und weitere Messgeräte verraten, die auf der Eisdecke über dem Grimsvötn-See stehen. So kann ein kontinuierliches schnelles Beben darauf hindeuten, dass 250 Meter tiefer das Wasser die Eisbarriere angehoben hat und unter dem Eis talwärts rast.
Der Wasserstand steigt
Über die Geräte lässt sich auch feststellen, wie hoch der Wasserstand im subglazialen Reservoir ist. Aktuelle Messungen zeigen, dass auch durch die Aktivität des Bárðarbunga vermehrt Schmelzwasser in den See fließt. Die Vulkanexperten schließen daher zurzeit auch einen künftigen Gletscherlauf nicht aus. Das Schmelzwasser würde sich nach aktueller Prognose vor allem in den Fluss Jökulsá á Fjöllum ergießen und könnte dann nordwärts Richtung Küste fließen.
Wenn ein solcher Gletscherlauf droht, muss alles sehr schnell gehen. Die Behörden müssen die im voraussichtlichen Flutweg liegenden Siedlungen evakuieren und die Ringstraße, eine der Hauptverkehrsadern Islands, rechtzeitig sperren. Was bei einem starken Jökulhlaup passieren kann, zeigt der Blick auf das Geschehen nach der Eruption des Grimsvötn 1996. Am frühen Morgen des 5. November begann der Gletscherlauf: Schwarzes Schmelzwasser, durchmischt mit großen, schmutzigweißen Eisbrocken, schoss unter dem Eis des Gletschers hervor und strömte in den Fluss Skeidara.
Wenn die Sturzflut kommt
Durch die Erschütterungen brachen gewaltige Eisberge von der Gletscherfront ab und wurden vom Wasser mitgerissen. Bis zum Mittag hatten die Fluten die Ebene erreicht und die Ringstraße, die Hauptverkehrsader, die den Süden und Osten Islands verbindet, an mehreren Stellen weggespült. Zwei Brücken über Gletscherflüsse wurden fast sofort von den Wassermassen weggerissen, Strom- und Kommunikationsverbindungen in der Region waren zerstört. Nach einem Flug über die betroffenen Gebiete beklagte Premierminister David Oddsson: „In nur vier Stunden hat diese Katastrophe uns im Straßenbau um 20 bis 30 Jahre zurückgeworfen.“
Der Jökulhlaup von 1996 hinterließ ein Bild der Verwüstung: Die Ringstraße war nur noch in Teilen vorhanden, von der Skeidarabrücke, einem der teuersten Bauwerke Islands, standen nur noch 700 Meter und auch diese Reste waren stark beschädigt. Die Schäden gingen in die Millionen. Diese Sturzflut gilt als der stärkste Jökulhlaup seit 1938.
Ob auch der Bárðarbunga einen Gletscherlauf dieser Stärke auslösen wird, ist zurzeit noch völlig unklar. Denn alles hängt davon ab, ob der Vulkan weiter aktiv bleibt und vielleicht sogar direkt unter dem Eis ausbricht, oder ob es bei dem bisherigen Nebenausbruch am eisfreien Holuhraun bleibt. Noch jedenfalls zählen die Mitglieder des Expertenkomitees einen Jökulhaup ausdrücklich zu einem der vier möglichen Szenarien.
Nadja Podbregar
Stand: 04.09.2014