Anthropogeographie

Der Klang der Wörter

Sprache informiert und stellt dar

Wenige Berufe sind so vertraut mit dem Wesen der Wörter wie die akademischen. Wörter sind das A und O unserer Profession. Sie halten unseren kumulativen Fortschritt fest, an ihnen wird unsere Produktivität gemessen, wenn wir Ideen mit Hilfe von Büchern, Zeitschriften und Open-access-Portalen verbreiten. Wie leicht verliebt man sich in das gedruckte Wort, in schwarze Symbole auf einem weißen Blatt mit ordentlichen Abständen, die die einzelnen Gedanken voneinander abgrenzen.

Sprache ist mehr als nur Buchstaben auf einer Seite © SXC

Aber wie anders ist doch unser alltäglicher Umgang mit Wörtern. Wir rollen sie auf unserer Zunge, wenn wir sprechen, flüstern oder schreien. Sie werden geschmeidig, wenn wir sie vortragen, verlängern und wiederholen. Wir schmücken sie mit subtilen Meinungsschattierungen aus, wenn wir Kontrolle auf Tonhöhe, Schallstärke und Dauer ausüben. Wir integrieren sie meisterlich mit Gestik und Mimik in das, was Linguisten „kompositionelle Äußerungen“ nennen.

Mehr als nur Beiwerk

Lange Zeit wurde das alles als Parasprache ausgegrenzt, als nicht Eigentliches, sondern als etwas am Rande, das uns nur ablenkt von der Wahrheit und Schärfe einer idealisierten formalen Sprache. Bei den Betrachtungen des Philosophen Gottlieb Frege über Sprache stehen ästhetische Freude und Streben nach Wahrheit in direkter Opposition.

Sprache geht immer einher mit Gesten: Hier macht der Redner deutlich einen Punkt. © MPI für Psycholinguistik / Dingemanse

Aber diese geringschätzige Ansicht ist inzwischen überholt, weil es Linguisten mehr und mehr klar wird, dass das geschriebene Wort nur ein mangelhaftes Modell für unsere wirkliche kommunikative Kompetenz ist. Sprache entstand in einer viel reichhaltigeren Umgebung und sie hat schon immer mehr für uns getan, als nur entkörperlichte Information zu liefern.

Die Menschen benutzen Sprache, um soziale Beziehungen aufzubauen, um ihre Erfahrungen miteinander in Beziehung zu setzen und ihre Einstellungen auszudrücken. Sie informieren nicht nur, sie stellen dar. Dies erfordert eine erneute Untersuchung darüber, was Wörter leisten.

  1. zurück
  2. 1
  3. |
  4. 2
  5. |
  6. 3
  7. |
  8. 4
  9. |
  10. 5
  11. |
  12. weiter

MPG Jahrbuch / Mark Dingemanse / Max-Planck-Institut für Psycholinguistik
Stand: 28.06.2013

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Wie wir mit Sprache malen
Dem Wesen von Lautbildern auf der Spur

Der Klang der Wörter
Sprache informiert und stellt dar

Malen beim Sprechen
Was sind Ideophone?

Wie male ich mit Worten?
Die typischen Merkmale von Lautbildern

Mehr als nur stilistische Schnörkel
Wie werden Lautbilder eingesetzt?

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Heimatliches blockiert das Sprechen der Zweitsprache
Der Anblick von Objekten oder Gesichtern aus der eigenen Kultur stört den Spracherwerb

Geografie prägt den Klang von Sprachen
Spezielle Kehlkopflaute haben sich fast nur in Gebirgen und Hochlagen entwickelt

Weißwal ahmt menschliche Stimme nach
Beluga produziert in Tonhöhe und Rhythmus der Sprache sehr ähnliche Laute

Sprache könnte auch aus dem Schmatzen entstanden sein
Lippenbewegungen von Affen sind dem beim Sprechen sehr ähnlich

Dossiers zum Thema

Sprachensterben - Schleichendes Verschwinden unseres kulturellen Gedächtnisses