Schliemann ist beflügelt von der Idee, dass sich Troja tatsächlich unter dem Hügel Hisarlik befinden könnte. Voller Tatendrang schmiedet er einen Plan: Er will die ganze Anhöhe abtragen, „um zu den Ruinen der Paläste des Priamos und seiner Söhne sowie zu denen der Minerva und des Apollon zu gelangen“. Enthusiastisch schreibt er an seine Schwester: „Ich glaube bestimmt, dort die Burg von Troja zu finden“. Seine Hoffnungen sind groß, ähnlich mächtige Bauwerke freizulegen wie sie etwa in der antiken Stadt Mykene in Form des Löwentores bereits wieder sichtbar sind.
Die Sache hat nur einen Haken: Der Hobbyarchäologe erhält zunächst keine Grabungserlaubnis von der türkischen Regierung. Doch davon lässt er sich nicht aufhalten. Zielstrebig wie eh und je macht er sich an die Organisation seines Vorhabens, führt erste Voruntersuchungen auf Hisarlik durch und beginnt dann gemeinsam mit einigen Hilfsarbeitern illegal zu buddeln. Bei diesen Probegrabungen stößt er bereits auf mehrere Siedlungsschichten – doch Schliemann interessiert das meiste davon nicht. Er will in tieferliegende Bereiche vordringen.
Nach dem Bulldozer-Prinzip
Immer wieder versucht der Trojasucher doch noch die entscheidende Genehmigung zu bekommen und reist dafür Ende 1870 sogar eigens nach Konstantinopel, um persönlich bei den Behörden vorzusprechen. 1871 erreicht ihn endlich der lang ersehnte Bescheid. Die erste offizielle Grabungskampagne beginnt.
Überzeugt davon, auf dem Grund des Erdhügels die Überreste von Homers Troja finden zu können, lässt Schliemann in den nächsten Jahren einen immer größer werdenden Graben in die Landschaft treiben. In England ordert er stabile Schubkarren und moderne Ausrüstung, um dabei schneller voranzukommen. Das Resultat ist eine Schneise, die wie mit einem Bulldozer geformt anmutet: Sie ist etwa 40 Meter lang, 20 Meter breit und zuletzt 17 Meter tief.
Wertvoller Schutt
Völlig fixiert auf sein Ziel, räumt Schliemann mithilfe seiner über 100 Arbeiter ab, was immer sich aus früheren Besiedlungen im Boden über der vermeintlichen Lage Trojas erhalten hat – ganze Mauern, Fundamente und wertvolles Fundmaterial enden als Schutt am Rande des Grabungsgebiets und werden abtransportiert. Immerhin lässt Schliemann die vorgefundenen Zivilisationszeugnisse zuvor sorgfältig erfassen.
Noch heute zieht sich der sogenannte Schliemann-Graben wie eine Schlucht durch die archäologische Fundstätte. Die rücksichtslose Vorgehensweise seines Verursachers gilt vielen Archäologen als größte Schandtat des Ausgräbers. Andere Wissenschaftler nehmen ihn jedoch in Schutz. Schließlich steckte die Feldarchäologie Anfang der 1870er Jahre noch in den Kinderschuhen. Schliemann hatte demnach nur wenige Vorbilder, dafür aber umso mehr Enthusiasmus für seine Mission – und der sollte sich bald auszahlen.
Daniela Albat